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Frühlingsträume - Der Gartenzwergdieb

Tiffany träumt von einem eigenen kleinen Gärtchen und als sie mit dem alten Robert ins Gespräch kommt, rückt ihr Traum plötzlich in greifbare Nähe. Als erster Schmuck muss natürlich ein Gartenzwerg her, der aber schon am nächsten Tag geklaut wird. Und auf einmal passieren ganz viele Dinge, die Tiffanys ruhiges Leben auf den Kopf stellen und sie zu Felix führen.

FRÜHLINGSTRÄUME: Romantische Frühlingsgeschichten

Der Gartenzwergdieb

Tiffany betrachtete nachdenklich den zugewucherten und verwilderten kleinen Garten, in dem neben einer umgefallenen Regentonne eine kleine Hütte stand, mehr ein Schuppen als ein Gartenhäuschen, und die auf den ersten Blick ziemlich abbruchreif aussah. Trotzdem, dieses kleine Gärtchen hatte etwas an sich, das Tiffany jedes Mal, wenn sie bei ihrem Spaziergang daran vorbeikam, dazu brachte stehenzubleiben und den Garten zu betrachten. Er faszinierte sie und irgendwie bezauberte er sie auch. Sie hatte sich schon immer einen Garten gewünscht, vielleicht weil sie als echtes Stadtkind mit wenig Grün und viel Lärm und Hektik aufgewachsen war. Und ein Stadtpark, in dem sich allerlei zwielichtige Gestalten herumtrieben und in dem hinter jedem Gebüsch Müll lag, konnte man ja wohl beim besten Willen nicht als Garten bezeichnen. Klar, als sie größer wurde, war sie oft mit dem Bus in den Park im Stadtzentrum gefahren, der im Gegensatz zu den Grünanlagen in ihrem Stadtviertel gut gepflegt war, aber Stadt blieb Stadt und so hatte Tiffany nicht gezögert, nach ihrem Realschulabschluss und ihrer Lehre als Verkäuferin der Stadt für immer den Rücken zu kehren und aufs Land zu ziehen.
In der Kleinstadt, die zu ihrer neuen Heimat geworden war, fühlte sie sich wohl. Sie lebte ein bescheidenes Leben, viel konnte sie sich nicht leisten mit dem, was sie als Angestellte im Supermarkt verdiente, aber sie hatte auch keine großen Ansprüche und war zufrieden mit ihrem neuen Leben. Einmal im Monat putze sie noch die Büroräume einer Versicherungsagentur und mit diesem Extrageld konnte sie sich sogar hin und wieder ein bisschen Luxus gönnen.
Von ihrer kleinen Wohnung im Dachgeschoss am Stadtrand aus konnte sie den Wald sehen und der Anblick der Bäume erfüllte sie noch immer jeden Morgen mit einer unbeschreiblichen Freude. Ihre Wohnung hatte sogar einen winzig kleinen Balkon, den Tiffany vom Frühjahr bis zum Herbst benutzte und liebevoll mit Blumen schmückte, und da sie direkt am Wald wohnte, konnte sie von zu Hause aus einen Waldspaziergang machen, wann immer sie dazu Lust hatte.
Eigentlich perfekt.
Aber ihr geheimer Wunsch nach einem eigenen Garten war und blieb ihr geheimer Wunsch nach einem eigenen Garten und nichts konnte ihn aus ihrem Kopf und ihrem Herzen vertreiben, auch nicht lange Waldspaziergänge, gute Landluft und ein blumengeschmückter Balkon.
Natürlich gab es hier auf dem Land keine Schrebergartensiedlungen im eigentlichen Sinn, denn die meisten hatten ihren hauseigenen kleinen oder großen Garten und statt Beton und Asphalt gab es hier Felder, Wiesen und Wälder so weit das Auge reichte, aber hier und da gab es kleine Gärtchen mitten im Grünen, Mini-Schrebergartensiedlungen mit kleinen Gartengrüppchen, nie mehr als zehn, oft nur zwei oder drei kleine, umzäunte Gartenstücke mit dem obligatorischen Gartenhäuschen. Und in einem dieser kleinen Gartengrüppchen lag dieses verwilderte kleine Gärtchen, das es Tiffany so angetan hatte. Die Lage war besonders schön, die Gärtchen lagen am Rande einer großen Senke mit Wiesen, die hier und da von kleineren und größeren Gebüschen und Bäumen aufgelockert wurden und durch die sogar ein kleines Flüsschen floss. Hinter dem Gartengrüppchen stieg die Senke langsam zu einem größeren, waldbestandenen Hügel an. Das Gesamtbild war so malerisch, dass es fast schon kitschig wirkte mit seinem Postkartenidyll, aber Tiffany fand es einfach nur perfekt.
Nach einem langen und schneereichen Winter und einem verregneten Vorfrühling war heute der erste wirklich schöne und sonnige Tag des Jahres, den Tiffany sofort für einen Waldspaziergang genutzt hatte. Der sie unweigerlich zu ihrem Gärtchen geführt hatte, das jetzt, in der ersten Frühlingssonne noch verwahrloster aussah als im letzten Jahr. Das hatte das Gärtchen nicht verdient, wirklich nicht.
"Wenn du mein Gärtchen wärst, dann würde ich mich um dich kümmern. Ich würde dich mit Blumen schmücken und dich zum schönsten Garten weit und breit machen, das kannst du mir glauben", versicherte Tiffany dem Garten und fuhr mit den Fingerspitzen über den morschen Gartenzaun.
"Ich weiß, wem der Garten gehört. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen die Adresse geben", hörte Tiffany zu ihrer Überraschung plötzlich eine Stimme von links und entdeckte nach längerem Suchen einen alten, überaus rüstigen Mann, der im Nebengarten hinter einen Gebüsch hervorkam, einen Eimer und eine gefährlich aussehende Gartenschere in der Hand.
"Das würden Sie tun?"
"Ja klar, ich finde es schade, dass der Garten so verkommt."
Er trat zum Gartenzaun, stellte den Eimer mit der Gartenschere auf den Boden, wischte sich die Hände an der Hose ab und reichte Tiffany eine Hand über den Gartenzaun.
"Ich bin der Robert."
"Tiffany."
Sie ergriff seine Hand und schüttelte sie. Eigentlich gehörte sie nicht zu den Menschen, die ständig Körperkontakt zu anderen suchten, aber der alte Mann hatte etwas opamäßiges und sah mit seinem weißen Vollbart ein bisschen aus wie der Weihnachtsmann, auch wenn ihm der kugelrunde Bauch fehlte, und er hatte einen angenehmen, festen Händedruck.
"Magst du einen Kaffee, Tiffany?" fragte Robert und öffnete einladend sein Gartentor.
"Ja, gerne, Kaffee geht immer."
Tiffany folgte Robert zu der kleinen Terrasse vor seinem Gartenhäuschen, auf der ein kleiner Tisch und bequem aussehende Stühle standen. Robert verschwand in dem Gartenhäuschen und kam mit einer Kaffeekanne und zwei Kaffeebechern zurück.
"Schön hast du es hier", sagte Tiffany, auch wenn das eine kleine Lüge war, denn in seinem Garten waren weit und breit keine Blumen zu sehen.
"Schön war es hier, als meine Frau noch gelebt hat", erwiderte Robert und schenkte ihnen beiden Kaffee ein.
"Milch? Zucker?"
"Danke. Tut mir leid, das mit deiner Frau."
"Mir auch. Sie fehlt mir, aber so ist das Leben. Wir werden alt und sterben. Aber wir hatten eine gute Zeit, die Ilse und ich. Sie hat Blumen geliebt, so wie du, Tiffany."
"Was ist denn mit dem Garten?"
Tiffany deutete auf das verwilderte Nachbargrundstück.
"Der gehört dem Brandl. Früher war der Garten mal sehr schön, aber seit die Kinder groß und in die Stadt gezogen sind, kommen der Brandl und seine Frau nicht mehr hierher. Es geht ihnen auch gesundheitlich nicht so gut, hab ich gehört. Und die Kinder haben keine Zeit und kein Interesse, sich um den Garten zu kümmern."
"Meinst du, er verpachtet mir den Garten? Kaufen kann ich ihn nicht, das kann ich mir nicht leisten."
"Bestimmt. Ich glaube, der erinnert sich gar nicht mehr daran, dass er diesen Garten noch hat. Ich habe ihn das letzte Mal vor vier oder fünf Jahren gesehen, aber da war der Garten auch schon verwildert."
Sie plauderten noch ein bisschen über dies und das und Tiffany stellte fest, dass es ihr gefiel, einfach nur dazusitzen und mit jemandem zu reden und einen Kaffee zu trinken. Seit sie vor vier Jahren aus der Stadt hierhergezogen war, hatte sie sehr zurückgezogen gelebt und außer ihren Kollegen bei der Arbeit, mit denen sie hin und wieder ein paar freundliche Worte wechselte, hatte sie eigentlich keine sozialen Kontakte. Das war an sich nichts Neues für sie, als sie noch in der Stadt gelebt hatte, war das nicht anders gewesen, und bisher hatte ihr das auch nie gefehlt, aber dieses entspannte Gespräch mit Robert machte ihr richtig Spaß und sie fühlte sich wohl in seiner Nähe.
Auf ihrem Weg nach Hause war Tiffany von einer verhaltenen Vorfreude erfüllt, gemischt mit Nervosität. Wie würde der Brandl reagieren? Würde sie den Garten bekommen? Der Gedanke, bei jemandem an der Haustüre zu klingeln, den sie nicht kannte, war ihr mehr als unangenehm, aber ihr Garten war es ihr wert, dass sie ihre Nervosität überwand. Also stellte sie eine halbe Stunde später ihr Fahrrad vor einem Haus im Zentrum der Kleinstadt ab, das auch schon bessere Tage gesehen hatte, und drückte beherzt den Klingelknopf neben dem Schild, auf dem in verblassten Buchstaben "Brandl" stand. Darüber befand sich noch ein zweites Klingelschild, das aber genauso leer war, wie die Wohnung im Obergeschoss, deren vorhanglose, verdreckte Fenster blind auf die Straße starrten.
Als niemand auf ihr Klingeln reagierte, überlegte sie kurz, ob sie es bleiben lassen sollte, aber dann dachte sie wieder an das Gärtchen und drückte kurz entschlossen erneut auf die Klingel, diesmal ein bisschen länger. Vielleicht war der Brandl ja schwerhörig. Abrupt wurde die Tür geöffnet und Tiffany starrte leicht erschrocken eine gebeugte alte Frau an, die sich schwer auf ihren Gehstock stützte. Sie sah verwahrlost aus wie der Garten, die grauen Haare ungewaschen und unter einem Kopftuch versteckt, das früher vielleicht einmal bunt gewesen war, und in einen Kittel gekleidet, den Frauen vor gefühlten hundert Jahren einmal getragen hatten. Aus der Wohnung roch es muffig, armselig und nach alten Leuten.
"Ich kaufe nichts", sagte die alte Frau und blickte sie aus ihren trüben Augen misstrauisch an, anscheinend bemüht, irgendetwas zu erkennen.
"Hallo Frau Brandl, ich bin Tiffany. Der Herr Gmeiner hat mir Ihre Adresse gegeben."
"Der Robert?"
Immer noch misstrauisch beäugte sie die alte Frau aus der halb geöffneten Tür.
"Ja."
"Was wollen Sie denn?"
"Ich wollte fragen, ob ich den Garten von Ihnen pachten kann. Den oben am Waldrand neben dem vom Herrn Gmeiner."
"Den Garten? Was wollen Sie denn mit dem Garten?"
"Wer ist da, Frieda?" tönte eine grantige Stimme aus der Wohnung.
"Jemand, der den Garten pachten will", rief die Frau mit überraschend kräftiger Stimme über die Schulter in die Wohnung.
"Kommen Sie rein", forderte sie dann Tiffany auf und schlurfte davon.
Alles in Tiffany sträubte sich dagegen, die muffige Wohnung zu betreten, aber wenn das nötig war, damit sie den Garten bekam, dann würde sie eben in die Wohnung gehen. Ehrlich gesagt tat ihr die Frau Brandl ein bisschen leid, Verwahrlosung hatte sie in ihrer Kindheit und Jugend mehr als genug gesehen und erlebt und das waren Erinnerungen, die sie am liebsten auf immer und ewig vergessen wollte. Mit einem Seufzer folgte sie der Frau in ein düsteres Wohnzimmer, in dem ein alter Mann mit Glatze und dicker Brille in einem großen Sessel saß und ein Kreuzworträtsel löste. Tiffany musste den Wunsch unterdrücken, ein Fenster aufzureißen, um frische Luft in den Raum zu lassen, und atmete stattdessen flach durch den Mund und nicht durch die Nase.
"Hallo, ich bin Tiffany. Der Robert hat mir gesagt, dass das Gärtchen oben am Waldrand Ihnen gehört."
"Welcher Garten?" fragte der Mann und starrte sie verwundert an.
"Der Garten, Gregor, der Garten", sagte seine Frau und tätschelte ihm den Arm.
Der Mann sah seine Frau einen Augenblick lang verloren an, dann schien er sich wieder zu erinnern. Tiffany fragte sich, wie die beiden es schafften, ihren Alltag zu bewältigen. Nicht besonders gut, das war offensichtlich.
"Ach den", sagte der Mann und wandte sich wieder seinem Kreuzworträtsel zu. Er schien Tiffany und seine Frau bereits wieder vergessen zu haben.
"Er tut sich schwer mit dem Erinnern", sagte die Frau entschuldigend zu Tiffany. Dann seufzte sie und Tiffany konnte sehen, welche Last auf ihren alten Schultern lastete und sie niederdrückte.
"Wenn Sie mir den Garten überlassen, könnte ich ja dafür was für Sie tun", schlug sie deshalb spontan vor.
Verblüfft sah die alte Frau sie an.
"Was haben Sie sich denn so vorgestellt?"
"Na, putzen, einkaufen, sowas halt. Einmal die Woche."
Die alte Frau überlegte eine Weile schweigend.
"In Ordnung", sagte sie dann zögernd und alles andere als überzeugt. Tiffany konnte sich vorstellen, wie es in ihr aussah und dass sie sich für ihre Lebensumstände schämte, denn sie wusste genau, wie sich das anfühlte.
"Also abgemacht", bekräftigte sie deshalb freundlich, "ist Ihnen morgen Nachmittag recht? So um drei?"
"Wer ist da, Frieda?" fragte der Mann wieder und sah Tiffany verwirrt an.
"Niemand Gregor, niemand", beruhigte ihn seine Frau und bugsierte Tiffany zur Tür.
"In Ordnung, morgen um drei, und seien Sie pünktlich."
Mit diesen Worten schob sie Tiffany aus dem Haus und schloss die Haustür.

Nachdenklich schwang sich Tiffany auf ihr Fahrrad und machte sich auf den Weg nach Hause. Sie freute sich natürlich, dass sich ihr Gartenwunsch jetzt endlich erfüllt hatte, aber die Verwahrlosung der beiden alten Menschen beunruhigte sie doch mehr, als sie zugeben wollte. Spontan beschloss sie, nochmal zum Garten zu fahren, denn für ihr E-Mountainbike waren die Feldwege, die zu der kleinen Gartenanlage führten, kein Problem.
"Und?" fragte Robert, der an den Gartenzaun getreten war, als Tiffany von ihrem Fahrrad stieg.
"Gut, ich kann den Garten haben."
"Das ist doch eine fantastische Nachricht. Warum siehst du denn dann so bedrückt aus?"
"Kennst du die Brandls gut?" fragte Tiffany, als sie Robert auf die Terrasse folgte und ihn durch die offene Tür des Gartenhäuschens dabei beobachtete, wie er mit seiner alten Kaffeemaschine einen frischen Kaffee aufsetzte.
"Na ja, so gut, wie man sich halt kennt, wenn man sein halbes Leben lang Gartennachbar ist und die Kinder des anderen aufwachsen sieht. Aber wir waren nie befreundet. Ehrlich gesagt mochte ich den Brandl nie, er war sehr streng zu seinen Kindern und sehr herrisch zu seiner Frau. Ilse hat es oft traurig gemacht, wenn sie gesehen hat, wie er mit den Kindern umgegangen ist. Sie hat sich so sehr selbst Kinder gewünscht, aber es hat nicht sollen sein."
"Das erklärt es zumindest teilweise", murmelte Tiffany und dann erzählte sie Robert von den Umständen, unter denen die beiden alten Leute lebten, und von der Vereinbarung, die sie mit der Frau Brandl getroffen hatte. Robert war ein guter Zuhörer und Tiffany konnte sich gut vorstellen, wie er früher hier auf der Terrasse gesessen und stundenlang mit seiner Frau Ilse geredet hatte.
Nach einer Weile ging Robert mit ihr zusammen in das Gärtchen und half ihr dabei, eine erste grobe Bestandsaufnahme zu machen, welche Arbeiten am dringendsten waren. Das Gartenhäuschen war voller Gerümpel, total verdreckt und so morsch, dass es nicht mehr zu retten war. Aber Tiffany weinte ihm trotzdem keine Träne nach, nicht jetzt, wo sie wusste, dass die Familie Brandl hier keine glücklichen Stunden verbracht hatte, vor allem ihre Kinder nicht. Was Tiffany aber Sorge machte, war der unglaubliche Wildwuchs, der den Garten in den vergangenen Jahren fast komplett vereinnahmt hatte, und ihr kamen die ersten Zweifel, ob sie sich nicht mit diesem Gartenprojekt komplett übernommen hatte.
"Schau nicht so unglücklich, Mädchen, Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut! Fang einfach mal an und dann wird das schon. Denk an dein Versprechen, das du dem Garten gegeben hast."
Robert klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter.
"Welches Versprechen?" fragte Tiffany etwas verwirrt.
"Na, das Blumenmeer. Und dass du ihn zum schönsten Garten weit und breit machen willst."
Tiffany musste lachen und ihre Zweifel waren wie weggeblasen.
"Du hast Recht, Robert, heute ist ein großartiger Tag und der Anfang eines großartigen Gartenprojekts."
"Und du weißt ja, bei mir bekommst du immer einen Kaffee. Du kannst dir auch gerne meine Gartengeräte ausleihen, ich habe eine elektrische Heckenschere und einen Freischneider."
"Danke, Robert", bedankte sich Tiffany bei ihm und als sie diesmal nach Hause radelte, war ihr schon etwas leichter ums Herz.

Bevor Tiffany am nächsten Tag nach der Arbeit zu den Brandls fuhr, machte sie einen Abstecher zum Gartencenter. Jetzt, wo sie die stolze Besitzerin eines Gärtchens war oder zumindest die stolze Pächterin, brauchte sie auch Gartengeräte, aber die Unmenge an Geräten und Gartenwerkzeugen, die in der Gartenabteilung ausgestellt waren, verwirrte sie komplett. Sie hatte zwar immer von ihrem eigenen Garten geträumt, aber in Wirklichkeit hatte sie keine Ahnung vom Gärtnern. Ein wenig hilflos und verloren sah sie sich um. Sollte sie überhaupt irgendetwas kaufen? Und wenn ja, was?
"Kann ich Ihnen behilflich sein?" fragte sie ein Mitarbeiter der Gartenabteilung freundlich.
"Nein danke, ich schaue mich nur ein bisschen um", wehrte Tiffany schnell ab, ohne den Mann richtig anzusehen, weil es ihr peinlich war, dass sie hier so völlig planlos und unvorbereitet in das Gartencenter gekommen war. Rasch ging sie weiter, die Wangen vor Verlegenheit gerötet, und wäre am liebsten im Boden versunken. Erst als sie an den Gartenzwergen vorbeikam, die liebevoll zwischen Grünpflanzen arrangiert waren, blieb sie stehen. Sie wollte ihrem kleinen Garten unbedingt etwas Gutes tun, ihn ein bisschen aufhübschen, und da war so ein Gartenzwerg doch genau das Richtige! Damit konnte sie eigentlich nichts falsch machen. Aufmerksam musterte sie die ausgestellten Gartenzwerge.
Der Mitarbeiter der Gartenabteilung, der sie die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte, kam langsam näher.
"Nichts dabei, was Ihnen gefällt?"
"Die sind echt alle total spießig!" sagte Tiffany mit einer Entrüstung und Enttäuschung, die den Mann zum Lachen brachte.
"Das ist der Sinn der Sache, es sind schließlich Gartenzwerge, also machen Sie Ihnen keinen Vorwurf daraus, spießig zu sein."
Tiffany hob den Blick und sah den Mann zum ersten Mal richtig an. Er kam ihr vage bekannt vor, als ob sie ihn schon einmal irgendwo gesehen hätte, aber sie konnte sein Gesicht nicht einordnen. Ein ausgesprochen attraktives Gesicht, das zu einem ausgesprochen attraktiven Mann gehörte, der so aussah, als ob er direkt aus einem Werbespot für Outdoor-Bekleidung gesprungen wäre. So ein Gesicht hätte sie doch bestimmt nicht vergessen, wenn sie es schon einmal gesehen hätte, oder?
"Wie muss ein Gartenzwerg denn aussehen, damit er Ihnen gefällt?" fragte der Mann und seine Mundwinkel zuckten wieder amüsiert.
"Na anders halt. Bunter. Verrückter. Aber egal, der Gartenzwerg muss her, dann nehme ich eben einen spießigen."
Tiffany griff wahllos nach einem Zwerg und ging dann direkt zur Kasse, ohne sich noch einmal nach dem Mann umzudrehen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt, sie und schockverliebt in einen fremden, attraktiven Mann! Wo gab es denn sowas? Nicht in ihrem Leben. Denk daran, wer du bist, ermahnte sie sich in Gedanken. Sie war unscheinbar und für die meisten ihrer Mitmenschen unsichtbar. Das lag nicht daran, dass sie hässlich war, sie war nicht hässlich. Es lag daran, dass sie das Unbemerktbleiben in ihrer Kindheit und Jugend perfektioniert hatte, denn sie war in einer Lebenssituation aufgewachsen, in der es besser gewesen war, keinerlei Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Im Laufe der Jahre war ihr dieses Verhalten in Fleisch und Blut übergegangen und bisher hatte sie auch keine Notwendigkeit gesehen, dieses Verhalten wieder abzulegen. Warum auch? Es umgab sie mit einem schützenden Mantel der Distanz und garantierte ihr ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben, das sie unter keinen Umständen wieder aufgeben wollte. Dass Männer keine Rolle in ihrem Leben spielten, störte sie nicht, im Gegenteil, denn was sie in ihrem Umfeld an so genannten Beziehungen gesehen und erlebt hatte, war wirklich nichts, was Sehnsüchte in ihr weckte. Natürlich sehnte sie sich manchmal nach einem Lebenspartner und nach der Liebe, vor allem dann, wenn sie romantische Bücher las oder wenn sie sich romantische Filme anschaute, aber sie war Realist genug um zu wissen, dass das echte Leben anders aussah. Ganz anders.
Als sie ihr Gärtchen erreichte und den Gartenzwerg mit seiner roten Zipfelmütze und seinem weißen Rauschebart auf einem großen Stein vor dem heruntergekommenen Gartenhäuschen platzierte, hatte sie den Mann schon fast wieder vergessen. Zufrieden tätschelte sie dem Gartenzwerg seine rote Mütze.
"Das wird schon werden, wir kriegen das schon hin", versprach sie ihm und dann machte sie sich auf den Weg zu den Brandls.
Frau Brandl musste am Fenster gestanden und auf sie gewartet haben, denn sie öffnete die Tür, bevor Tiffany klingeln konnte.
"Sie sind tatsächlich gekommen", begrüßte sie Tiffany ungläubig.
"Klar, ich stehe zu meinem Wort. Wenn Sie zu Ihrem stehen und ich den Kleingarten benutzen darf. Ich habe hier einen Pachtvertrag mitgebracht, den ich mir aus dem Internet ausgedruckt habe und mit dem Sie mir den Garten für mindestens zehn Jahre verpachten."
Tiffany zog ein paar Blätter Papier aus ihrer Tasche und wedelte Frau Brandl damit vor dem Gesicht herum. Sie hatte lange darüber nachgedacht, aber nach dem, was Robert ihr von den Brandls erzählt hatte, traute sie ihnen nicht so richtig über den Weg und da es sie viel Zeit und Arbeit kosten würden, den Garten in Ordnung zu bringen, wollte sie sicher sein, dass sie ihn auch benutzen durfte. In der Zeile mit der Pacht hatte sie "Hilfe im Haushalt einmal pro Woche 3 Stunden" eingetragen. Sie las Frau Brandl den Pachtvertrag in aller Ruhe vor, die ihr aufmerksam zuhörte, unterbrochen nur von Herrn Brandls mürrischer Stimme, der in regelmäßigen Abständen wissen wollte, wer sie war. Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium, schätzte Tiffany, stellte Frau Brandl aber keine Fragen, denn im Grunde ging es sie ja nichts an. Alles, was sie wollte, war der Garten.
"Ich dachte, ich fange am besten mit der Küche an", informierte Tiffany Frau Brandl, nachdem diese kommentarlos den Pachtvertrag unterschrieben hatte. Tiffany wollte keine Sekunde länger im muffigen Zimmer bei Herrn Brandl verbringen und vermutlich sahen die Küche und das Bad sowieso am schlimmsten aus.
Ihre Vermutung hatte sie nicht getäuscht und sie konnte nicht verhindern, dass sie scharf die Luft einsog, als Frau Brandl ihr die Küche zeigte. Das war ein Fehler, denn sofort überkam sie ein Würgereiz, den sie nur mit Mühe unterdrücken konnte. Frau Brandl, die ihre Reaktion bemerkte, setzte sich an den Küchentisch und fing an zu weinen.
"Ich kanns nimmer, was soll ich denn machen, ich kanns nimmer", schluchzte sie und wischte sich dann mit ihrer Schürze die Nase ab.
"Schon gut", beruhigte Tiffany sie und riss erst einmal die beiden Küchenfenster auf, um frische Luft in die Küche zu lassen. Dann machte sie sich an die Arbeit, um den gröbsten Dreck zu beseitigen. Zum Glück hatte sie daran gedacht, eigene Putzmittel und Handschuhe mitzubringen, und sie war arbeiten gewöhnt, aber nach drei Stunden war sie fix und fertig und die Küche sah noch immer grauenvoll aus. Zumindest hatte sie alle vergammelten Lebensmittel beseitigt und den Kühlschrank und den Herd gründlich gereinigt, das war immerhin ein Anfang.
"Haben Sie denn niemanden, der Ihnen hilft?" fragte Tiffany Frau Brandl, als sie ihre Sachen zusammenpackte.
"Nein, die Kinder haben schon lange jeden Kontakt zu uns abgebrochen", sagte Frau Brandl mit trauriger Stimme und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: "Ich kann es ihnen nicht verdenken."
"Wie wäre es mit einer Putzfrau? Zumindest zu Anfang, bis wir mit der Grundreinigung fertig sind. Das kostet auch gar nicht so viel, ich kenn da jemanden."
"Wissen Sie, Gregor hat sich immer um alles gekümmert. Ich durfte gar nichts selber machen. Und jetzt weiß ich nicht, wie das geht", erklärte Frau Brandl mit gebrochener Stimme.
Tiffany seufzte. Als sie noch in der Stadt gelebt hatte, hatte sie viele solcher Fälle gesehen. Deshalb hatte sie es vorgezogen, unsichtbar zu sein und alleine zu bleiben.
"Es ist nie zu spät, etwas zu ändern, Frau Brandl. Soll ich am Montag wiederkommen und eine Hilfe mitbringen? Ich arbeite immer Frühschicht, das heißt, ich könnte um drei hier sein, wie heute. Sie müssten uns allerdings bezahlen, aber ich denke, dass wir zu zweit die Wohnung in zwei Wochen auf Vordermann bringen können."
"Machen Sie das, ich bin Ihnen so dankbar. Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich tun soll."

Der nächste Tag war ein Samstag und Tiffany konnte es gar nicht erwarten, endlich Feierabend zu machen und zu ihrem Garten zu fahren. Sie freute sich darauf, mit den ersten Arbeiten anzufangen, und sie freute sich darauf, mit Robert Kaffee zu trinken. Beim Bäcker hatte sie ein paar Nussschnecken gekauft, die würden sicher gut zum Kaffee schmecken. Und sie hatte ihre rumänische Kollegin Dafina gefragt, ob sie ihr beim Putzen helfen würde. Sie wusste, dass es bei Dafina auch oft knapp war und sie gerne nebenher kleine Putzjobs annahm. Nachdem sie ihre Überraschung überwunden hatte, dass Tiffany sie ansprach und sogar ihren Namen kannte, hatte Dafina begeistert zugestimmt und sich auch nicht abschrecken lassen, als Tiffany sie vor der vollkommen verdreckten Wohnung gewarnt hatte. Dreck ist Dreck, hatte sie gemeint und mit den Achseln gezuckt.
Als sich Tiffany nach der Arbeit auf ihr Fahrrad schwang, fühlte sie sich so beschwingt und voller Energie, wie schon lange nicht mehr. Am Garten angekommen, stürzte sie sich mit Feuereifer in die Arbeit und sortierte das ganze Gerümpel und den Müll, die sich in dem Gartenhaus und im Gärtchen angesammelt hatten. Die Frühlingssonne schien, der Himmel war blau und Tiffany war glücklich, auch wenn ihr schon nach kurzer Zeit der Schweiß über das Gesicht lief, obwohl sie nur ein T-Shirt trug und ihre Haarmähne mit einem breiten Haargummi zu einem Knoten im Nacken gebändigt hatte, um nicht ständig an irgendwelchen Ästen hängenzubleiben. Ab und zu kamen ein paar Spaziergänger, Jogger oder Mountainbiker vorbei, die die Frühlingssonne herausgelockt hatte, aber Tiffany war so in ihre Aufräumarbeiten vertieft, dass sie sie kaum bemerkte. Auch nicht den hochgewachsenen Mann auf einem Mountainbike, der sogar stehengeblieben war und sie eine Zeit lang beim Aufräumen beobachtete, bis er schließlich zögernd und langsam weiterfuhr.
Später setzte sich Tiffany zu Robert auf die Terrasse, wo sie in kameradschaftlichem Schweigen Nussschnecken aßen und Kaffee tranken.
"Und, kommst du voran?" fragte Robert nach einer Weile.
"Nö, das volle Chaos", entgegnete Tiffany und lachte. "Was mache ich bloß mit dem ganzen Krempel?"
"Den kannst du im Wertstoffhof abgeben, gegen eine kleine Gebühr. Und die Gartenabfälle bei der Grüngutannahmestelle."
"Sowas gibt es?"
"Ja, sowas gibt es."
"Blöd nur, dass ich kein Auto hab."
"Mach dir keine Sorgen, da können wir bestimmt was organisieren."
Nachdem sie eine Weile lang einfach nur die warme Frühlingssonne genossen hatten, sagte Robert:
"Ich hab einen Grill. Soll ich morgen Grillwürste mitbringen?"
"Gute Idee, ich mach einen Kartoffelsalat", stimmte Tiffany zu und auf einmal war sie nicht mehr alleine in ihrem Leben und es fühlte sich gut an.
An diesem Abend ging sie müde, aber zufrieden ins Bett.

Auch der Sonntag versprach, ein sonniger Frühlingstag zu werden, sodass Tiffany sich schon früh auf den Weg in ihren Garten machte, nachdem sie den Kartoffelsalat, Tomaten und ein paar Flaschen Wasser in einer Tasche verstaut und auf dem Gepäckträger befestigt hatte. Sie wollte heute damit beginnen, den Wildwuchs anzugehen, und Robert hatte ihr einen Schlüssel für sein Gartenhaus gegeben und ihr gezeigt, wie man die elektrische Heckenschere benutzte.
In dem Augenblick, in dem sie ihr Fahrrad durch ihr morsches Gartentörchen schob, verflog ihre Begeisterung allerdings schlagartig. Der Gartenzwerg war weg! Fassungslos starrte Tiffany auf den großen Stein, auf dem noch gestern Abend der Gartenzwerg wie ein kleiner König gethront hatte. Sorgfältig suchte sie das Gras und das Gebüsch um den Stein herum ab, weil sie zuerst dachte, er wäre vielleicht umgekippt und von dem Stein gefallen, aber nein, er war weg! Wer klaute bitte schön einen Gartenzwerg? Bestimmt irgendwelche leicht angetrunkenen Jugendliche, die das lustig fanden, aber Tiffany konnte diese Belustigung nicht teilen. Ausgerechnet ihr Gartenzwerg, ihr erster kleiner Schmuck für ihren Garten!
Ihre Verärgerung über den Diebstahl hielt allerdings nicht lange an, denn sie machte sich mit der Heckenschere an die Arbeit und nachdem sie die erste halbe Stunde mit dem Gerät gekämpft und herumgefuchtelt hatte, hatte sie den Dreh raus. Später kam Robert und sie tranken Kaffee und gegen Abend warf Robert den Grill an und Tiffany betrachtete von seiner Terrasse aus zufrieden den Berg an Ästen, die sie ausgeschnitten und aufgetürmt hatte.
"Sieht mehr wie eine Müllhalde aus, als wie ein Garten", meinte Robert und deutete auf die kleinen Berge aus Altholz, Plastik, Sperrmüll und Ästen in ihrem Garten. Tiffany musste lachen.
"Das ist immer so, wenn man anfängt, das Chaos zu beseitigen. Erst wird das Chaos noch größer und dann, schwuppdiwupp, ist es plötzlich weg", versicherte sie ihm.
"Na, ganz so schwuppdiwupp wird das wohl bei deinem Garten nicht gehen."
Robert arrangierte die Bratwürste fachmännisch auf dem Grill und reichte Tiffany eine Flasche Bier aus der Kühltasche.
"Ich habe keine Eile."
Sie öffnete den Bügelverschluss der Bierflasche und nahm einen tiefen Zug. Nach getaner Arbeit schmeckte das Bier besonders gut.
"Irgendjemand hat meinen Gartenzwerg geklaut."
"Ist nicht wahr!"
Überrascht blickte Robert von seinen Würsten auf, die er gerade hingebungsvoll gewendet hatte.
"Doch. Der war zwar voll hässlich, aber trotzdem finde ich das eine Unverschämtheit."
"Ach, irgendein dummer Streich, vielleicht taucht er ja wieder auf."
"Glaub ich nicht", widersprach Tiffany und dann widmeten sie sich den Würsten, dem Kartoffelsalat und den Tomaten und unterhielten sich noch lange, bis es langsam dunkel wurde.
"Ich mach mich dann mal auf den Weg" verabschiedete Tiffany sich schließlich. Sie war überrascht, dass es schon so spät war, und hatte gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen war. "Ich komme erst am nächsten Samstag wieder, Dafina und ich wollen nächste Woche die Wohnung der Brandls gründlich putzen."
Sie reichte Robert den Schlüssel zu seinem Gartenhaus, den er ihr gegeben hatte.
"Na dann viel Spaß", meinte Robert, "und behalte den Schlüssel. Du kannst dir jederzeit einen Kaffee machen, wenn ich mal nicht da bin."
"Danke!"
Tiffany schwang sich auf ihr Rad und winkte Robert zum Abschied noch einmal zu. Was für ein netter alter Herr! Einen besseren Gartennachbarn konnte sie sich nicht wünschen. Es gab zwar noch zwei andere kleine Gärtchen in ihrer Minigartenanlage, aber die Besitzer hatten sich bisher noch nicht gezeigt. Der Garten neben Roberts Garten war eine kleine Streuobstwiese mit Geräteschuppen und Robert hatte ihr erzählt, dass die Besitzer nur hin und wieder kamen, um die Bäume zu schneiden und das Gras zu mähen, und natürlich im Herbst zur Obsternte. Der vierte und letzte Garten auf der ganz anderen Seite gehörte einer Familie mit zwei kleinen Kindern, die den Garten im Sommer oft am Wochenende nutzten.
Ich habe wirklich Glück gehabt, dachte Tiffany, als sie nach Hause radelte. Der Garten gehörte jetzt ihr! Also nicht wirklich. Sie fragte sich, wie viel es wohl kosten würde, das Gärtchen zu kaufen. Nächste Woche würde sie Robert fragen, der wusste das bestimmt. Aber einen Schritt nach dem anderen. Zunächst einmal hatte sie ja den Pachtvertrag, das war ein guter Anfang!

Die nächste Woche verging wie im Flug. Am Montagnachmittag nahmen Tiffany und Dafina ihr Putzprojekt in Angriff und Tiffany merkte schnell, dass Dafina die richtige Wahl gewesen war. Sie war patent und praktisch und arbeitete genauso schnell und effizient wie Tiffany.
"Die Küche muss gestrichen werden", sagte Dafina am Abend zu Tiffany, nachdem sie gemeinsam jeden Winkel sauber gemacht hatten. Besonders der Boden war eine Herausforderung gewesen, sie mussten ihm mit einem Stahlschwamm für Töpfe zu Leibe rücken, aber das Ergebnis war wirklich überraschend. Nur die Wände waren einfach nicht sauber zu kriegen.
"Bestimmt nicht nur die Küche, du hast ja die anderen Zimmer gesehen", stimmte Tiffany Dafina zu.
"Und Frau Brandl braucht Wäsche. Und ihr Mann auch."
Auch das stimmte, Tiffany wollte gar nicht wissen, wann Frau Brandl sich das letzte Mal richtig gewaschen hatte und wann sie das letzte Mal ihre Wäsche gewechselt hatte.
"Ja, ich habe mir schon überlegt, ob ich mal die Diakonie anrufen soll, damit sie jemand schicken, der sich um die alten Leute kümmert. Mich wundert's, dass der Bringdienst vom Essen nicht schon irgendetwas in die Wege geleitet hat. Die müssen doch sehen, wie es hier aussieht."
Frau Brandl hatte die ganze Zeit in der Küche auf einem Stuhl gesessen und die Frauen bei der Arbeit beobachtet, während ihr Mann in regelmäßigen Abständen Wer ist da, Frieda? aus dem Wohnzimmer rief, bis sie ihn schließlich ignorierte. Tiffany machte das nichts aus, sie konnte sich in etwa vorstellen, wie einsam die Frau in den letzten Jahren gewesen war. Auch Dafina behandelte Frau Brandl freundlich und tätschelte ihr ab und zu im Vorbeigehen den Arm.
"Ich will keine fremden Leute im Haus", meldete sich Frau Brandl überraschend mit weinerlicher Stimme zu Wort.
"Aber Frau Brandl, irgendjemand muss sich doch um Sie und um Ihren Mann kümmern, so kann das nicht weitergehen! Und ich und die Dafina sind doch auch Fremde! Und schauen Sie mal, wie gut das klappt! Heute haben wir schon die ganze Küche fertig geputzt."
"Ich will aber keine fremden Leute im Haus", beharrte Frau Brandl und fing an zu weinen.
Dafina reichte ihr ein Taschentuch und tätschelte ihr die Hand. Frau Brandl griff nach Dafinas Hand und klammerte sich daran, als ob ihr Leben davon abhinge.
"Können Sie nicht bleiben?" fragte sie mit schwacher Stimme.
Dafina sah Tiffany hilflos an und Tiffany starrte einen Augenblick lang genauso hilflos zurück, bis sie plötzlich eine Idee hatte.
"Was ist mit der Wohnung?" fragte sie deshalb Frau Brandl.
"Mit welcher Wohnung?"
Die alte Frau sah sie verwirrt an.
"Na, die da oben!"
Tiffany deutete mit dem Daumen auf die Decke.
"Die ist leer, lange schon", murmelte Frau Brandl, die immer noch Dafinas Hand umklammert hielt.
Tiffany sah Dafina an und zog vielsagend die Augenbraue hoch.
"Ich bringe meinen Mann morgen mit. Er guckt wegen Streichen von Wohnung. Dann können wir die Wohnung oben angucken", sagte Dafina, die sofort verstanden hatte, worauf Tiffany hinauswollte.
Nachdem sie alles mit Frau Brandl besprochen hatten und versprochen hatten, am nächsten Tag zusammen mit Dafinas Mann und ihrem Schwager wiederzukommen, verabschiedeten sie sich für diesen Tag.
"Ist so schwer, Wohnung zu bekommen", sagte Dafina zu Tiffany, als sie sich beide auf ihre Fahrräder schwangen und ein Stück gemeinsam radelten, "wir haben kleine Wohnung, ganz klein, und ist teuer, ganz teuer."
"Aber überleg dir das gut, die alten Leute sind bestimmt viel Arbeit, Dafina. Und der Robert hat mir erzählt, dass der Brandl ein unangenehmer Mensch ist."
"Wenn wir die Wohnung bekommen, ich kann zu Hause bei Kindern bleiben."
"Du könntest auf 500-Euro Basis für die Brandls arbeiten, als Mini-Jobberin. Wäsche machen, kochen und so. Ich kann bei dem Papierkram helfen, ich kenn mich mit sowas aus", schlug Tiffany vor.
Und so kam es, dass sie sich am nächsten Tag die Wohnung im Obergeschoss ansahen. Abgesehen davon, dass sie ebenfalls verdreckt und voller Gerümpel war, war es eine schöne Wohnung, die sogar zwei Kinderzimmer hatte, weil das Dachgeschoss dazugehörte.
"Kein Problem", meinte Dafinas Mann, nachdem er und sein Bruder fachmännisch die Wohnung gemustert hatten, "wir aufräumen und streichen, dann ist perfekt."Und so machten sie es.
Bereits am Ende der Woche waren beide Wohnungen nicht mehr wiederzuerkennen. Dafinas Mann brachte außer seinem Bruder noch einige Freunde mit, die die obere Wohnung im Handumdrehen entrümpelten und dann sowohl die obere als auch die untere Wohnung strichen. Tiffany und Dafina putzten und wuschen, was das Zeug hielt, und Frau Brandl saß meistens auf dem Stuhl in der Küche und weinte ziemlich oft, sah dabei aber glücklich aus. Herr Brandl maulte grantig aus seinem Sessel, aus dem er zum Glück ohne fremde Hilfe nicht aufstehen konnte, und machte Kreuzworträtsel.
Tiffany hatte alle Dokumente, die sie beim Aufräumen fanden, sorgfältig gesammelt und sortiert und war sie dann der Reihe nach mit Frau Brandl durchgegangen. Den Essensdienst hatte sie abbestellt, da Dafina ab jetzt für die alten Leute mitkochen würde. Stattdessen hatte sie mit der Diakonie vereinbart, dass morgens und abends ein Pfleger vorbeikam, der Herrn Brandl aus dem Bett holte, ihn duschte und anzog und abends wieder ins Bett brachte.
Dafür, dass Dafina und ihr Mann sich um alles kümmerten, durften sie mietfrei in der Wohnung wohnen, und Frau Brandl würde Dafina außerdem als Mini-Jobberin anstellen. Tiffany fand das mehr als gerecht, nicht nur, weil sich die Lebenssituation der beiden alten Leute um hundertachtzig Grad gewendet hatte, sondern auch weil sie beim Durchsehen der Unterlagen gesehen hatte, dass die Brandls über große Rücklagen verfügten und Herr Brandl als ehemaliger höherer Beamter eine üppige Pension kassierte. Die fünfhundert Euro würden Dafina sehr helfen und den beiden alten Leuten nicht fehlen.
Alles in allem war es eine tolle Woche und es gab Tiffany ein gutes Gefühl, dass sie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen hatte. Am Freitagabend verabschiedete Dafina sich mit einer Umarmung von Tiffany. Sie und ihre kleine Familie waren bereits in die obere Wohnung eingezogen und auch wenn noch einige Dinge fehlten, da sie vorher in einer winzig kleinen Wohnung gewohnt hatten, war Dafina trotzdem überglücklich. Bis die neue Küche kam, würde es noch einige Wochen dauern, aber Dafina kochte sowieso unten, denn tagsüber kümmerte sie sich ja um die beiden alten Brandls.
"Danke, Tiffany, wirklich, danke für alles!"
"Ach was, ich muss dir danken, du und dein Mann, ihr habt das super gemacht! Die Wohnung der Brandls ist nicht wiederzuerkennen. Und die Brandls auch nicht", wehrte Tiffany verlegen ab.
"Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid. Wir helfen gerne", versicherte Dafina ihr und drückte sie noch einmal an sich.
"Mach ich. Bis Donnerstag!"
Tiffany würde jeden Donnerstag vorbeikommen und nach den Brandls schauen. Sie musste zwar jetzt nicht mehr putzen oder einkaufen, aber es gab noch viel Verwaltungskram zu erledigen, etwas, mit dem sich Frau Brandl überhaupt nicht auskannte, was aber unbedingt geregelt werden musste, vor allem angesichts des schlechten Zustands ihres Mannes. Aber für diese Woche hatte Tiffany genug getan und jetzt freute sie sich auf ihr Wochenende und vor allem auf ihren Garten!

Nachdem es unter der Woche zwei Tage lang geregnet hatte, war der Himmel rechtzeitig zum Wochenende wieder strahlend blau und Tiffany radelte deshalb bereits am frühen Morgen zu ihrem Garten. Auf dem Weg dorthin kaufte sie beim Bäcker noch schnell ein paar süße Stückchen, sie konnte es kaum erwarten, Robert bei einem Kaffee von ihrer ereignisreichen Woche zu erzählen. Als sie sich auf ihrem Fahrrad dem Gärtchen näherte, fiel ihr auf, dass irgendetwas nicht stimmte. Was genau das war, konnte sie zuerst gar nicht sagen, und als sie am Garten angekommen war, brauchte sie ein paar Sekunden, bis ihr der Groschen fiel.
Der ganze Müll war weg!
Alle säuberlich aufgeschichteten Berge waren verschwunden!
Stattdessen war der Gartenzwerg wieder da!
Tiffany lehnte ihr Rad an den Zaun, ging zu dem Gartenzwerg und starrte ihn mit offenem Mund an. Wie sah der denn aus? Verschwunden waren die spießige rote Zipfelmütze und der weiße Rauschebart, stattdessen war der Gartenzwerg bunt angemalt, sein Bart leuchtete in Regenbogenfarben wie die Mähne eines Einhorns und seine Mütze funkelte in Glitzerrosa um die Wette mit seiner lila Jacke und den knallbunten Schuhen. Oben auf der Glitzermütze befand sich ein Stern, von dem aus eine LED-Lichterkette kunstvoll um den ganzen Zwerg gewickelt war. Das Gesamtergebnis war unglaublich und Tiffany liebte es! Was für ein toller Zwerg! Wem hatte sie diesen kunstvoll verzierten Zwerg wohl zu verdanken?
Neben dem Zwerg lag ein kleines, schwarzes Kästchen, unter dem ein Zettel klemmte. Neugierig hob Tiffany das Kästchen hoch und las den Zettel. Hier einschalten, stand auf dem Zettel und Tiffany drückte versuchsweise den Knopf auf dem Kästchen. Sofort begannen der Stern auf der Mütze und die LEDs zu blitzen und zu blinken. Tiffany schlug die Hände zusammen wie ein kleines Mädchen und lachte begeistert.
Was sie nicht sah, war der Mountainbiker, der in Sichtweite des Gartens angehalten hatte und sie beobachtete. Er lächelte. Es war ein selbstzufriedenes Lächeln, ein sehr selbstzufriedenes Lächeln. Dann schwang er sich wieder in den Sattel und fuhr weiter.
Bis Robert eintrudelte und einen Kaffee aufsetzte, hatte sich Tiffany schon durch eine Menge Wildwuchs gekämpft und einen neuen Berg aus Ästen angehäuft.
"Danke, dass du denn Müll für mich weggefahren hast!" begrüßte Tiffany ihn und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Verblüfft starrte er sie an.
"Das war ich nicht, ich dachte, du wärst das gewesen!"
"Na so was, also ich war es auch nicht. Und schau dir mal meinen Gartenzwerg an, er ist wieder da."
Tiffany deutete auf ihren Glitzerzwerg mit LED-Beleuchtung.
"Na, da hast du wohl ein kleines Helferlein. Irgendeine Ahnung, wer das sein könnte?" fragte Robert.
"Nein", sagte Tiffany bedauernd, aber das stimmte nicht ganz. Sie hatte so einen leisen Verdacht, schließlich gab es nur eine Person, bei der sie sich über den spießigen Gartenzwerg beschwert hatte. Aber warum sollte der Mann aus dem Gartencenter ihren Zwerg erst klauen, dann bemalen und dann wieder zurückbringen? Und woher wusste er überhaupt, dass sie diesen Garten hier hatte? Das ergab alles keinen Sinn. Nachdenklich ließ sie ihren Blick über ihren Garten schweifen und bemerkte dabei einen Mountainbiker, der zügig auf dem Feldweg angeradelt kam und dann langsamer wurde, als er an ihrem Garten vorbeifuhr. Er schaute in den Garten und sah ganz so aus, als ob er etwas suchen würde. Dann fiel sein Blick auf Tiffany, die auf Roberts Terrasse saß.
Moment mal, das Gesicht kannte sie doch! Und jetzt fiel ihr auch ein, warum ihr der Mann im Gartencenter so bekannt vorgekommen war, sie hatte ihn schon öfter auf ihren Spaziergängen gesehen, wenn sich ihre Wege gekreuzt hatten, nur dass er mit Helm und Sportkleidung ganz anders aussah als mit Arbeitskleidung im Gartencenter.
Als er sah, dass sie ihn bemerkte, blieb er stehen.
"Sie einer an, der Gartenzwergdieb!" rief Tiffany aus und trat an den Gartenzaun, den Kaffeebecher noch in der Hand.
"Schuldig", sagte der Mann und lachte. Es war ein ungezwungenes, offenes Lachen. Anscheinend war es dem Mann in keiner Weise peinlich, dass sie ihn erkannt hatte. Er nahm seinen Helm ab, fuhr sich mit der Hand durch seine zerzausten Haare und streckte ihr die Hand dann über den Gartenzaun entgegen.
"Felix."
Tiffany wechselte den Kaffeebecher in die andere Hand und schüttelte ihm die Hand.
"Tiffany."
Sie musterten sich ein paar Augenblicke lang schweigend und irgendetwas passierte zwischen ihnen, etwas, das sich Tiffany nicht erklären konnte, schockverliebt hin oder her. Verlegen räusperte sie sich.
"Du siehst nicht aus wie jemand, der Gartenzwerge mit Glitzerfarbe bemalt", sagte sie, um sich von ihren eigenen Gefühlen abzulenken, die wie bunte Gummibälle durch ihren Körper schossen und dazu führten, dass ihre Knie weich wurden.
Felix lachte wieder und zeigte dabei seine perfekten Zähne. Ohne dass Tiffany es verhindern konnte, schoss ein Bild durch ihren Kopf, ein Bild, auf dem sie seinen perfekten Mund küsste. Ihr Herzschlag beschleunigte sich noch mehr und sie stand jetzt kurz vor einem Herzinfarkt, gleich würde sie Schnappatmung bekommen oder in Ohnmacht fallen.
"Schon wieder schuldig. Ich kann zwar Wände streichen, aber keine Gartenzwerge in glitzernde Einhörner verwandeln. Dafür ist meine Schwester zuständig, sie ist richtig gut mit sowas. Gefällt's dir?"
Klar gefällt mir, was ich sehe. Was ich sehe, gefällt mir sowas von gut, dass es mir Angst macht, dachte Tiffany und riss sich dann zusammen.
"Ja, ich finde ihn fantastisch", gab sie zu und lächelte ihn an.
"Halleluja! Das erste Lächeln, das ich dir entlocken konnte. Ich habe schon befürchtet, du kannst gar nicht lächeln."
Er lächelte zurück und sie verfielen wieder in dieses Schweigen, dieses ganz besondere Schweigen, in dem ihre Körper auf eine stumme Art und Weise miteinander kommunizierten, die Tiffany bisher vollkommen unbekannt gewesen war und die dazu führte, dass vor ihrem geistigen Auge weitere Kussbilder auftauchten.
Es hatte sie erwischt.
Es hatte sie voll erwischt.
Und sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte.
"Täusche ich mich, oder ist dieser junge Mann das fleißige Helferlein, das den Müll aus deinem Garten weggeräumt hat?" fragte Robert, der gerade noch rechtzeitig zu Tiffany an den Zaun getreten war, um sie aus dieser absurden Situation zu retten, bevor sie etwas Dummes tun konnte. Tiffany blinzelte kurz und tauchte wieder aus ihren Träumereien auf.
"Warst du das?" fragte sie Felix, der ihr ein wissendes kleines Lächeln schenkte, das mehr als tausend Worte sagte. Aber er konnte die Bilder ja nicht gesehen haben, die ihr durch den Kopf gegangen waren, das war schlicht und einfach unmöglich!
"Ich habe gedacht, du kannst ein bisschen Hilfe bestimmt gut gebrauchen. Ich bin mit dem Traktor und dem Hänger gekommen, das war kein Ding, echt nicht."
"Ja dann, junger Mann, wie wäre es mit Kaffee und Kuchen? Immer rein in die gute Stube!"
Robert öffnete einladend das Gartentor und als Felix an ihm vorbei in den Garten trat, zwinkerte Robert Tiffany verschwörerisch zu.
Felix setzte sich entspannt auf einen der Gartenstühle und biss genussvoll in ein Plunderteilchen. Er sah aus, als ob ihn nichts und niemand aus der Ruhe bringen könnte. Und er sah aus, als ob er viel Zeit im Freien verbringen würde. Er hatte diese gesunde Gesichtsfarbe, die man nicht davon bekam, dass man vor dem Computer oder der Spielekonsole hockte, und diese schlanken, straffen Muskeln, die man sich nicht im Fitnessstudio antrainieren konnte, sondern die viel Bewegung an der frischen Luft erforderlich machten. Mit seinem kantigen Kinn, den blauen Augen und den dunkelblonden Haaren, die total verwuschelt waren und trotzdem stylisch aussahen, würde er tatsächlich in jeden Werbespot für Outdoorbekleidung passen, da hatte Tiffany keinen Zweifel. Die Frage war deshalb: was wollte er von ihr?
"Wie kommt's, dass du den Garten von den Brandls hast?" fragte er unvermittelt und deutete mit seinem angebissenen Plunderstück auf Tiffanys Garten.
"Ah, jetzt weiß ich, wer du bist!" rief Robert plötzlich triumphierend aus, bevor Tiffany die Frage beantworten konnte, "du bist dem Huber sein Kleiner. Mei, bist du groß geworden!"
"Und Sie sind alt geworden, Herr Gmeiner", entgegnete Felix mit einem frechen Grinsen. Dann deutete er wieder mit seinem Plunderstückchen auf Tiffanys Garten, nachdem er ein weiteres großes Stück davon abgebissen hatte.
"Da brauchst du eine Motorsäge, um den Wildwuchs zu beseitigen, sonst wirst du nie fertig."
"Aha", meinte Tiffany und wusste nicht so recht, ob sie sich über diese Belehrung freuen oder ärgern sollte. Schließlich war es ihr Garten und in dem konnte sie machen, was sie wollte.
"Ich könnte mal schnell meine Motorsäge holen."
Felix spülte die Reste seines Plunderteilchens mit Kaffee herunter und sah so selbstgefällig aus, dass Tiffany sich ein Lachen nur mit Mühe verkneifen konnte. Der Mann strahlte eine natürliche Sympathie aus, die einfach mitreißend war.
"Wenn dich das davon abhält, noch hundert Mal mit deinem Mountainbike an meinem Garten vorbeizufahren und mich auszuspionieren, meinetwegen", lenkte sie deshalb ein und versuchte es so klingen zu lassen, als ob es das größte Eingeständnis der Welt wäre. Sie wollte ihn unter keinen Umständen merken lassen, wie sehr er ihr gefiel. Und nicht nur gefiel, ihr Herz sagte ihr ganz eindeutig, dass es mehr war als das, viel mehr.
"Tut mir leid, ich wollte dich nicht stalken, echt nicht."
Felix sah so zerknirscht aus, dass Tiffany am liebsten zu ihm gegangen wäre, um ihn zu trösten. Zum Beispiel mit einer Umarmung, oder mit einem Kuss oder vielleicht auch mit zwei Küssen. Der Blick, den ihr Felix aus seinen kobaltblauen Augen zuwarf, bohrte sich wie ein Speer direkt in ihr Herz, aber anstatt Schmerzen spürte sie ein unglaubliches Glücksgefühl, das sie in einer warmen, weichen Welle überflutete. Meine Güte, sie hatte diesem Mann wirklich nichts entgegenzusetzen! Und weil der Gedanke, den Tag mit ihm zu verbringen, so verlockend war, lenkte sie mit einem schiefen kleinen Lächeln ein.
"Vergeben und vergessen. Dann hol mal deine Motorsäge, Felix."
"Ja!" rief Felix begeistert aus und sprang auf, um sich mit Robert abzuklatschen. Tiffany starrte Robert entgeistert an. Seit wann klatschen alte Opas ab?
"Guck nicht so, Tiffany, ich trainiere die Jugendmannschaft vom Fußballclub. Ich weiß durchaus, was so abgeht."
Was war mit ihrem Leben passiert? Bis vor einer Woche war sie wie gewohnt unter dem Radar geflogen und hatte sich von allen und allem fern gehalten. Und jetzt hatte sie einen Garten und eine rumänische Freundin samt Familienanschluss, saß mit Robert auf der Terrasse und starrte einem Mann hinterher, der viel zu schön war, um wahr zu sein, der aber über eine bewundernswerte Kehrseite verfügte, von der sie den Blick nicht abwenden konnte. Die ganze Situation hatte sich verselbstständigt und jetzt machte sie ihr ein bisschen Angst, denn sie war sich nicht sicher, ob sie dafür bereit war, ob sie jemals dafür bereit sein würde.
"Er ist ein guter Junge", sagte Robert, der anscheinend ihr Gefühlschaos bemerkt hatte, "hilft dem Huber in der Landwirtschaft und ist bei den Pfadfindern. Die Kinder lieben ihn."
Pfadfinder? Gab es sowas überhaupt noch? Hier auf dem Land vermutlich schon. Tiffany konnte sich gut vorstellen, wie er mit einer Horde wild gewordener Kinder Zelte aufbaute und am Lagerfeuer saß.
"Ich glaube nicht, dass ich dafür bereit bin", gestand Tiffany zu ihrer eigenen Überraschung. Sie hatte noch nie mit irgendjemandem über ihre Gefühle geredet.
"Für die Liebe ist man nie bereit. Aber die Mutigen werden belohnt."
Er lächelte sie aufmunternd an und Tiffany lächelte scheu zurück. Ihr wurde schlagartig bewusst, dass sie auf ihre neu gewonnenen Freunde nicht mehr verzichten wollte, auch wenn Gefühle, Freundschaften und Liebe absolutes Neuland für sie waren.

Ungefähr eine halbe Stunde später hörte Tiffany Motorengeräusche und kurz darauf hielt Felix mit einem kleinen Traktor mit Hänger vor ihrem Gärtchen. Geschmeidig sprang er vom Traktor und holte die Motorsäge vom Hänger. Tiffany konnte sehen, wie sich seine Armmuskeln unter dem T-Shirt spannten, und ihr Mund war auf einmal ganz trocken. Wie sollte sie mit ihm arbeiten, wenn seine Nähe all diese unglaublichen Dinge mit ihr anstellte?
Es stellte sich dann aber heraus, dass das Arbeiten mit ihm richtig Spaß machte. Felix arbeitete sich mit der Motorsäge durch den Wildwuchs und Tiffany lud die Äste auf den Hänger. Ab und zu machten sie eine Pause, setzten sich auf die Ladefläche vom Hänger, tranken Wasser aus Flaschen und unterhielten sich. Tiffany erzählte Felix, wie sie zu dem Garten gekommen war, und als sie ihm von den Brandls und ihrer Verwahrlosung berichtete, wurde er ganz ernst.
"Man sollte eigentlich glauben, dass es sowas bei uns auf dem Land nicht gibt, aber leider gibt es viel zu viele solcher Fälle. Vor allem in den kleinen Dörfern im Umland, da gibt es viele alte Leute, die alleine sind. Die Kinder gehen in die Stadt und die alten Leute bleiben zurück und sind die meiste Zeit sich selbst überlassen."
"In der Stadt ist es schlimmer, glaub mir", versicherte Tiffany ihm und spürte einen kalten Lufthauch in ihrer Seele, als Erinnerungen aus ihrer Kindheit hochkamen.
"He, alles gut?" fragte Felix, der ihren Stimmungsumschwung bemerkt hatte. Er legte ihr den Arm um die Schulter und drückte sie kurz an sich. Es fühlte sich gut an, von ihm gedrückt zu werden, also legte Tiffany ihren Kopf an seine Schulter, obwohl sie das eigentlich gar nicht wollte.
"Magst du heute Abend mit mir ausgehen?" fragte Felix, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander gesessen hatten. Tiffany richtete sich auf und rückte ein Stück von ihm ab.
"Ich weiß nicht", antwortete sie ehrlich und sah in an, "ich weiß nicht, ob ich dir trauen kann."
Felix nickte.
"Das verstehe ich. Du kennst mich nicht und ich habe bestimmt nicht den allerbesten ersten Eindruck gemacht. Ich habe dich heimlich beobachtet, ich habe deinen Gartenzwerg geklaut und ich bin einfach in deinen Garten gegangen, ohne dich zu fragen."
Er seufzte.
"Es ist nur so, ich habe dich so oft gesehen, wie du alleine spazieren gegangen bist. Und wie dich deine Unnahbarkeit umgibt wie ein Schutzwall. Aber ich kann irgendwie durch diesen Schutzwall hindurchsehen, ich kann es gar nicht erklären. Ich sehe deine Verletzlichkeit, deine Einsamkeit. Ich sehe, dass du viele schlimme Dinge erlebt hast und ich möchte dich zum Lächeln bringen. Zum Lachen. Ich möchte, dass du glücklich bist. Zwei Jahre lang ist dieses Gefühl in mir gewachsen und gewachsen und du hast mir nie auch nur einen Blick geschenkt. Nicht ein einziges Mal hast du mich wirklich gesehen. Und als ich dich dann erst im Gartencenter und dann hier im Garten der Brandls gesehen habe, konnte ich dir einfach nicht fernbleiben."
Überrascht starrte Tiffany Felix an.
"Wie kann das sein?" fragte sie erschüttert und spürte, wie ihr Herz zu flattern anfing. Felix machte ihr Angst. Nein, das war nicht richtig, seine Gefühle für sie machten ihr Angst. Nein, das war auch nicht richtig, ihre Gefühle für ihn machten ihr Angst.
"Ich weiß es nicht, Tiffany."
Ganz langsam beugte er sich zu ihr herunter und seine Lippen kamen den ihren immer näher. Aber Tiffany brachte es nicht fertig, vom Hänger zu springen und wegzulaufen, zu stark war die Anziehungskraft, die sie gefangen hielt wie ein starker Magnet, wie ein Eisenband, das sich um ihr Herz und ihre Seele geschlungen hatte und sie jetzt zu dem Mann zog, der neben ihr saß. Also ließ sie zu, dass er sie küsste, ganz zart und sanft, ganz liebevoll und zärtlich, ohne sie zu bedrängen, nur ihre Lippen berührten sich, ihre Lippen, ihre Herzen und ihre Seelen. Als Felix den Kuss beendete, fühlte Tiffany eine große Leere, wo eben noch seine Nähe gewesen war.
"Das war schön", sagte sie und lächelte ihn an.
"Dein Lächeln, wie wundervoll dein Lächeln ist", murmelte Felix und warf ihr einen Blick zu, in dem so viel Zuneigung lag, dass Tiffany erschauderte.
Felix sprang vom Hänger, dann fasste er Tiffany um die Taille, um ihr vom Hänger zu helfen, aber statt sie loszulassen, zog er sie in eine Umarmung. Und mit einem Seufzer, der aus tiefstem Herzen kam, schmiegte sich Tiffany in seine Umarmung und ließ zu, dass Nähe und Zuneigung die Einsamkeit aus ihrer Seele verbannten.
Kaum war das Eis gebrochen, war eine Vertrautheit zwischen ihnen, als ob sie sich schon jahrelang kennen würden, als ob sie gemeinsam im Sandkasten gespielt hätten und zusammen aufgewachsen wären.
Nach einem arbeitsreichen Nachmittag verabredeten sie sich für den Abend und Tiffany vermisste Felix bereits in dem Augenblick, in dem er auf den Traktor stieg und davon fuhr. Ungeduldig wartete sie zu Hause darauf, dass die Zeit bis zu ihrer Verabredung verstrich, kontrollierte immer wieder ihr Aussehen im Spiegel, was ganz untypisch für sie war. Erst hatte sie ihre langen dunklen Haare, die so lockig waren, dass sie fast kraus wirkten, offen getragen, aber die wilde Haarmähne hatte sie nicht wirklich zufrieden gestellt, also hatte sie die Haare mit einem bunten Tuch locker im Nacken zusammengefasst. Nachdem sie das Haarproblem gelöst hatte, hatte sie lange vor dem Spiegel gestanden und überlegt, ob sie sich vielleicht die Wimpern tuschen und ein wenig Lipgloss auflegen sollte, aber dann hatte sie darauf verzichtet. Sie schminkte sich generell nie, warum sollte sie jetzt damit anfangen? Am besten blieb sie einfach so, wie sie war und wie sie sich wohlfühlte.
"Du siehst wunderschön aus", begrüßte sie Felix, als sie ihm kurze Zeit später die Tür öffnete.
Er sah auch wunderschön aus, fand Tiffany, und er roch gut.
"Magst du kurz reinkommen?" fragte sie und griff nach seiner Hand, um ihn über die Schwelle zu ziehen, bevor er antworten konnte.
"Klar", meinte er und dann umarmte er sie wieder und versenkte sein Gesicht in ihrer Haarmähne.
"Wie lange habe ich davon geträumt, das zu tun", murmelte er in ihre Haare und dann küssten sie sich.
Diesmal war der Kuss anders, denn Tiffanys Lippen öffneten sich wie von alleine und Felix verstand das sofort als Einladung, den Kuss zu vertiefen. Hitze durchflutete Tiffany, als sie seine Leidenschaft spürte. Bevor sie es verhindern konnte, wanderten ihre Hände unter sein T-Shirt und taten Dinge, über die sie gar nicht genauer nachdenken wollte, die sich aber unglaublich gut anfühlten. Mutig geworden, zog Tiffany Felix das T-Shirt über den Kopf und spürte, wie ihre Knie beim Anblick seiner flachen Bauchmuskeln nachgaben. Aber Felix hielt sie sicher im Arm und dann fielen die Kleidungsstücke auf den Boden, eins nach dem anderen. Auf sein T-Shirt folgte ihr T-Shirt, auf seine Jeans folgte ihre Jeans und dann lagen sie eng umschlungen auf Tiffanys Sofa, das aber viel zu klein war für die langen Beine und die breiten Schultern von Felix, sodass er sie auf den Arm nahm wie ein kleines Kind und zu ihrem Bett trug, wo genug Platz war. Platz um sich zu berühren, um sich zu küssen, um sich zu lieben, mit einer wilden Leidenschaft, zu der sich Tiffany gar nicht fähig gehalten hatte. Doch nachdem Felix die Hitze in ihr entfacht hatte, übernahm ihr Körper die Regie und verbannte ihren Verstand irgendwo in ein kleines Kämmerlein, um sich dann völlig enthemmt und zügellos all den wundervollen Gefühlen hinzugeben, die Felix in ihr weckte. Sie liebten sich heftig und in einem wilden Rausch, mit einer tiefen Verbundenheit, die über körperliche Nähe hinausging, bis Tiffany schließlich erschöpft in seinen Armen Ruhe fand.
Später bestellten sie Pizza, die sie in Tiffanys kleiner Küche aßen, und redeten bis tief in die Nacht. Schließlich gingen sie wieder ins Bett und Tiffany bettete ihren Kopf auf Felix Schulter, eng an ihn geschmiegt.
"Das war ein tolles erstes Date", murmelte sie erschöpft und glücklich. Dann öffnete sie noch einmal kurz die Augen und sah Felix ernst an.
"Du gehst nicht weg, oder?" fragte sie.
"Nein, es gibt keinen anderen Ort, an dem ich sein möchte", beruhigte er sie und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Stirn.

Und so kam es, dass Felix blieb. Natürlich ging das Leben weiter, Felix hatte seine Arbeit und Tiffany ihre, aber abgesehen davon verbrachten sie die meiste Zeit zusammen und vor allem jede Nacht, denn Tiffany ertrug den Gedanken nicht, von Felix getrennt zu sein, und ihm ging es auch nicht anders.
Felix nahm Tiffany vom ersten Tag an überall hin mit, zu seinen Freunden, zu den Pfadfindertreffen und zu sich nach Hause auf den Hof. Tiffany mochte seine Eltern, die einfache Bauern waren und ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet hatten und die sie freundlich aufnahmen. Und sie mochte seine kleine Schwester Astrid, die noch zur Schule ging und ständig einen Pinsel in der Hand hielt, weil sie immer irgendetwas bemalte. Da die Eltern von Felix kein Nutzvieh mehr hielten, sondern nur noch die Felder und Wiesen bewirtschafteten, hatte Felix sich den alten Stall zu einer Wohnung umgebaut und Tiffany wurde klar, dass es auf einem Bauernhof Platz gab, viel Platz. Und weil die Wohnung von Felix so schön groß war, zog Tiffany schon bald bei ihm ein. Das Gärtchen behielt sie allerdings, auch wenn sie in ihrem neuen Zuhause jetzt so viel Garten hatte, wie sie wollte, aber mit dem Gärtchen hatte alles angefangen und außerdem war es ihr persönlicher Rückzugsort, der ganz alleine ihr gehörte. Gemeinsam mit Felix hatte sie das alte Gartenhäuschen abgerissen und ein neues Gartenhaus mit Terrasse aufgebaut und im Sommer kam Dafina mit ihrem Mann und den beiden Kindern oft am Wochenende vorbei. Diese Momente liebte Tiffany ganz besonders, wenn die Kinder kreischend in dem kleinen aufblasbaren Planschbecken spielten, Dafinas Mann Vladislav, den alle nur Vladi nannten, mit Felix den Grill anheizte und Felix und Robert lebhafte Diskussionen darüber führten, wie die Steaks am besten mariniert wurden, während sie mit Dafina einfach nur in der Sonne saß.
Ab und zu kam Felix zu ihr, streichelte ihr die Wange und küsste sie und ging erst, wenn er ihr ein Lächeln entlockt hatte, denn er stand zu seinem Wort und tat alles, um Tiffany glücklich zu machen.
Und auch Tiffany war zu ihrem Wort gestanden, ihr Gärtchen war ein wahres Blumenmeer und das schönste weit und breit.

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Über mich

Ich liebe es, neue Welten zu erschaffen, und hoffe, ihr hab genau so viel Freude daran, meine Bücher zu lesen, wie es mir Freude bereitet hat, sie zu schreiben.

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