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Inselträume - Arranmore: Der Mann aus dem Nebel

Die komplette erste Kurzgeschichte aus dem Buch "Inselträume" zum Reinlesen und Reinschnuppern! 
Siobhán begibt sich auf eine Wanderung durch Irland, die sie schließlich auf die Insel Arranmore führt, wo sie in einer verregneten und nebeligen Nacht auf Braden stößt und ihre große Liebe findet.

Der Mann aus dem Nebel

Hanne stapfte mit gesenktem Kopf verbissen durch das kurze Gras, das auf den Felsen der steinigen Küste von Arranmore wuchs. Der Wind pfiff und sie musste sich nach vorne beugen, um nicht von den Füßen gerissen zu werden. Sie hielt den Blick starr auf den Boden gerichtet, nur auf den nächsten Schritt konzentriert, tief in Gedanken versunken und ohne die atemberaubende Schönheit der Küstenlandschaft und des wilden Meeres wahrzunehmen, das sich tosend gegen die Klippen warf.
Wie war sie auf die bescheuerte Idee gekommen, ihren knappen Urlaub, den sie aus ihrer noch knapperen Urlaubskasse bezahlen musste, ausgerechnet in Irland zu verbringen? Und dazu noch als Rucksacktourist und zu Fuß? Jeder wusste schließlich, dass es in Irland ständig regnete und außerdem ging sie überhaupt nicht gerne zu Fuß und war in ihrem ganzen Leben noch nie gewandert.
Aber es hatte ja unbedingt Irland sein müssen, was vermutlich an ihrem Namen lag, der noch bescheuerter war als diese Idee, zu Fuß durch Irland zu wandern.
Wenn ihre Mutter ihr den Namen wenigstens aus Liebe zu Irland oder zu einem Iren gegeben hätte, dann wäre das irgendwie romantisch gewesen und sie hätte ihr das ja vielleicht verzeihen können, aber ihre Mutter war noch nie in ihrem Leben in Irland gewesen und mit Sicherheit hatte sie keinen blassen Schimmer, welcher Nationalität der Vater ihres Kindes angehörte. Sie erinnerte sich nicht an seinen Namen und vermutlich auch nicht an sein Gesicht. Sie hatte einfach irgendwann gemerkt, dass sie schwanger war, und war genauso überrascht wie überfordert gewesen. Da ihre Mutter zu den Menschen gehörte, die alle Probleme in ihrem Leben ganz einfach ignorierten und hofften, dass sie von alleine wieder verschwinden, hielt sie ein kleines Mädchen in ihren Armen, bevor sie so richtig wusste, wie ihr eigentlich geschah, und gab ihr den ersten Namen, der ihr einfiel und der aus einem dieser romantischen Schnulzenromane stammte, die sie ständig las: Siobhán.
Selbstverständlich hatte ihre total verpeilte Mutter keine Ahnung davon, dass irische Namen nicht so ausgesprochen werden, wie man sie schreibt, weshalb sie ihre Tochter zu Anfang immer Siob-han nannte, bis irgend ein freundlicher Mitmensch sie darauf hinwies, dass der Name Schu-on oder Schu-won ausgesprochen wurde, mit lang gezogenem u. Das machte die ganze Namenskatastrophe auch nicht besser, denn ihre Mutter hatte keinerlei Talent für Sprachen und war auch sonst komplett talentfrei, weshalb es immer klang wie "Schwonn", wenn sie Hanne rief.
Als ob es Hanne in der Schule nicht schon schwer genug gehabt hätte mit einer Mutter, die mit ihren bunten Klamotten im Blumenmädchen-Style wie ein Hippie aus den 68-ern aussah und meistens mit Gras zugedröhnt war, das sie sich weiß Gott wo beschaffte. Aus "Schwonn" war natürlich praktisch sofort "Schwein" geworden, und dieser Spitzname klebte während der ganzen Grundschulzeit wie Pech und Schwefel an Hanne.
Die Grundschulzeit war ein Überlebenstraining für Hanne gewesen, ihre Mutter jobbte zwar hin und wieder mal in einem Yoga-Studio oder sonstwo, war aber die meiste Zeit nicht da und vergaß oft monatelang komplett, dass sie eine Tochter hatte. Hanne fing deshalb früh an, für verschiedene alte Leute im Viertel die Einkäufe und andere Besorgungen zu erledigen, um sich etwas zu Essen kaufen zu können, und besorgte sich ihre Kleidung aus dem Altkleidercontainer oder in einem der Second-Hand-Läden, von denen es in ihrem Stadtviertel genug gab. Sie dankte dem Universum dafür, dass sie in einer Großstadt lebte, wo es niemanden interessierte, dass sie praktisch sich selbst überlassen war. Sie ging jeden Tag zur Schule, war immer sauber, machte immer ihre Hausaufgaben und ertrug das Gehänsel ihrer Mitschüler mit zusammengebissenen Zähnen, bis die irgendwann die Lust daran verloren und sie in Ruhe ließen.
Als sie auf die Realschule kam, stellte sie es geschickter an. Wenn in der Klasse ihr Name aufgerufen wurde, korrigierte sie immer freundlich die Aussprache und erklärte dann, dass es Irisch für Johanna sei und alle sie Hanne nennen würden. Wenn irgendwelche weiteren Nachfragen kamen, hatte sie ihre Geschichte parat: Ein irischer Vater, der zur See gefahren und in einem Sturm ums Leben gekommen war. Eine Mutter, die als Krankenschwester arbeitete, was problemlos die praktisch permanente Abwesenheit ihrer Mutter erklärte. Freundinnen hatte sie keine, auch keine Freunde, weshalb sie sich keine Ausreden ausdenken musste, warum sie niemand zu sich nach Hause in die winzige, dunkle Kellerwohnung einlud.
An diesem Punkt ihrer Gedanken angelangt blieb Hanne leicht verdutzt stehen. Wieso fielen ihr diese alten Geschichten ausgerechnet jetzt wieder ein, hier oben auf der stürmischen Klippe einer irischen Insel?
Müde stellte Hanne ihren Rucksack ab und ließ sich auf einen kleinen Felsen sinken, der einigermaßen bequem aussah. Zum ersten Mal seit Stunden nahm sie ihre Umgebung bewusst wahr und musste feststellen, dass sie keine Ahnung hatte, wo sie war.
Na super.
Ich bin genau so verpeilt wie meine Mutter, dachte sie und konnte ein Gefühl von Verbitterung nicht unterdrücken, das in ihr hochquoll.
Sie seufzte und suchte in ihrem Rucksack nach etwas Essbarem. Zu ihrer Begeisterung fand sie noch eine Packung trockener Kekse und eine gefüllte Wasserflasche.
Sie wusste natürlich, dass sie nach Irland gekommen war, weil sie sich tief in ihrem Herzen wünschte, dass in dieser ganzen Irlandgeschichte doch ein Fünkchen Wahrheit steckte. Irgendetwas, das ihr ein Gefühl von Zuhause, von Heimat, von Familie geben würde. Vom Aussehen her würde es ja passen, sie hatte zwar nicht die für Iren typischen roten Haare, dafür aber rabenschwarzes Haar, tiefblaue Augen und eine Haut, die so hell war, dass man bei genauem Hinsehen die Adern durchschimmern sah. Allerdings war sie klein. Waren Iren eigentlich große Menschen wie die Wikinger oder eher klein? Hanne aß noch einen Keks und sann über diese durchaus bedeutsame Frage nach.
In ihrem Herzen war Hanne eine unverbesserliche Romantikerin, auch wenn sie das niemals zugeben würde. In ihrem Leben war kein Platz für Romantik, ihr Leben war auch ohne Romantik schon schwer genug. Ihre Kindheit hatte sie zu einer menschenscheuen Einzelgängerin gemacht, die es gelernt hatte, wie ein Geist inmitten der Menschen der Großstadt zu leben. Nachts putzte sie in einem der großen Bürogebäude eines Konzerns, in das sie abends unbemerkt hineinhuschte und aus dem sie morgens wieder genauso unbemerkt verschwand, bevor sich die Räume mit ehrgeizigen und aufstrebenden, durchgestylten Großstädtern füllten, die in ihren Designerklamotten die Karriereleiter nach oben kletterten. Anschließend räumte sie noch in einem großen Supermarkt die Regale ein und ging dann meistens so um sieben Uhr morgens nach Hause, wenn der Supermarkt öffnete und die ersten Kunden kamen.
Eine Nachteule war sie, ein Nachtfalter, eine Fledermaus. Kein Schwein. Der Gedanke brachte sie zum Lachen und sie aß noch einen Keks.
Sie befand sich auf einer schmalen Landzunge und nichts schränkte ihren Blick über das weite Meer ein, dessen Wellen sich schäumend im Wind aufbäumten. Wie schön das Meer doch war!
Hanne hatte die Großstadt vorher noch nie verlassen, so etwas wie Urlaub kannte sie nicht. Der Wunsch nach einem Urlaub von der Großstadt war ganz plötzlich gekommen, nachdem in ihr Leben endlich so etwas wie Routine und Sicherheit eingekehrt war. Sie hatte ihre Arbeit, sie hatte ihre eigene Wohnung, die zwar winzig und alt war, die sie aber trotzdem über alles liebte, und das Geld reichte ganz gut, denn Hanne war anspruchslos.
Und plötzlich war in ihren Gedanken Raum für anderes als nur die Sorge um die nächste Mahlzeit, das Geld und die Zukunft. Obwohl, wenn sie ehrlich war, die Sorge um die Zukunft war geblieben, aber sie war zuversichtlich, dass sie zurechtkommen würde, wie sie in den ersten zwanzig Jahren ihres Lebens immer zurechtgekommen war.
Sie hatte angefangen zu träumen, von weiten grünen Ebenen, Wind und Meer, und wenn sie aufwachte, war sie von einer stillen Sehnsucht erfüllt, die ihr Herz schmerzen ließ. Natürlich wusste sie, dass der Grund dafür die Geschichten über ihren erfundenen irischen Vater waren, die sie immer und immer wieder erzählt hatte, sodass sie manchmal fast schon selbst daran glaubte. Aber die stille Sehnsucht blieb trotzdem und ließ sich nicht vertreiben.
Also hatte sie sich auf den Weg nach Irland gemacht.
Und hier war sie nun.
Sie seufzte wieder. Wenigstens regnete es heute nicht. Das war auch gut so, denn ihr Rucksack, der sowieso viel zu schwer für sie war, wog eine gefühlte Tonne, wenn er im Regen nass wurde. Sie war überhaupt nicht auf einen Wanderurlaub in Irland vorbereitet, sie hatte keine anständige Regenjacke dabei, ganz zu schweigen von Wanderschuhen, und überhaupt die völlig falschen Sachen in ihren Rucksack gepackt. Trotzdem war sie von Belfast aus losgezogen, war mit dem Bus zuerst bis nach Londonderry und von dort nach Letterkenny gefahren und war dann losgelaufen. Sie hatte es bis nach Dunfanaghy geschafft und war dann weiter an der Küste entlang gewandert, bis sie irgendwann Burtonport erreichte und beschlossen hatte, ihren Wanderurlaub vorzeitig abzubrechen und mit dem Bus zurück nach Belfast zu fahren, in irgendeinen Billigflieger zu steigen und zurück nach Hause zu fliegen. Alle ihre Sachen waren entweder schmutzig oder feucht, weil der Rucksack nicht dicht war, ihre Sneaker waren fast durchgelaufen und ihre Füße taten ihr weh. Von dem erhofften und ersehnten Heimatgefühl war nichts zu spüren und es war auch kein irischer Seemann aus dem Nichts vor ihr aufgetaucht, um seine verloren geglaubte Tochter in die Arme zu schließen.
Entmutigt und verärgert über sich selbst hatte sie die Busverbindungen auf ihrem Smartphone studiert, während sie auf einer der Bänke vor dem kleinen Harbourfront Cafe an ihrem Kaffeebecher nippte. Fast hatte sie das Gefühl, Irland mache sich über sie lustig, denn jetzt, wo sie beschlossen hatte, ihren Urlaub abzubrechen und nach Hause zu fahren, war die Wolkendecke aufgerissen und die Sonne schien. Da sie noch ausreichend Zeit hatte, bis der nächste Bus nach Letterkenny fuhr, stand sie auf und schlenderte mit dem Kaffeebecher in der Hand Richtung Meer. Auf einmal tauchte ein blaues Fährschiff auf und legte gemächlich an der Fährstation an.
Und da war sie wieder, diese unerklärliche Sehnsucht. Was genau dann passiert war, konnte Hanne nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, nur dass sie plötzlich auf der Fähre stand, ihren Kaffeebecher immer noch in der Hand, und zu einer Insel mit dem Namen Arranmore fuhr.
Und jetzt saß sie irgendwo auf einem Felsen auf besagter Insel und blickte auf das Meer, umgeben von noch mehr Felsen und noch mehr Meer. Das war ja alles recht schön, änderte aber nichts daran, dass der Wanderurlaub eine blöde Idee gewesen war und sie eigentlich nichts anderes wollte, als in ihr normales Leben zurückzukehren. Es mochte armselig sein, bescheiden, einsam, arbeitsreich und langweilig, aber immerhin war es ihr Leben.
Gerade als sie die Kekse wieder in den Rucksack packen wollte, sah sie plötzlich einen Hund auf sich zukommen. Hanne erstarrte mitten in der Bewegung und starrte den Hund an. Es war nicht einfach nur ein Hund, es war ein riesiger Hund. Hanne hatte nicht gewusst, dass es so große Hunde überhaupt gab. Er war grau und schlank und kam mit einem unglaublichen Tempo auf sie zugestürmt. Hanne hatte keine Ahnung, was sie machen sollte, und war sowieso vor Schreck wie gelähmt. Also blieb sie einfach sitzen und versuchte, irgendwie weiter zu atmen. Kurz bevor er mit ihre zusammenprallte, bremste der riesige Monsterhund ab und kam schlitternd zum Stehen. Seine Zunge hing seitlich aus seinem Maul, was ihn trotz seiner Größe albern aussehen ließ, und sein riesiges Hinterteil wackelte hin und her, so heftig wedelte er mit dem Schwanz.
"Wie kannst du mich so erschrecken, du Riesenbaby?" maulte Hanne den Hund entrüstet an und ihr Ärger war nur zum Teil gespielt.
Der Hund bellte und leckte ihr dann voller Freude und mit großer Begeisterung über die Wange. Was ihm nicht schwer fiel, da er auf Augenhöhe mit Hanne war, was zum einen daran lag, dass sie auf einem Felsen saß, und zum anderen daran, dass sie ziemlich klein war. Und der Hund ziemlich groß.
"Bäh!" schrie Hanne angewidert und versuchte, den Hund wegzuschieben und davon abzuhalten, sie weiter abzulecken. Igitt! Der Hund stupste sie mit seiner Nase an und sah sie mit seinem treudoofen Hundeblick an. Anscheinend wollte er etwas von ihr, aber was? Versuchsweise kraulte sie ihn hinter den Ohren. Sofort setzte sich der Hund, legte seinen Kopf auf ihre Knie und seufzte wohlig. Was Hanne als Aufforderung verstand, mit dem Kraulen weiterzumachen. Nachdem sie ihren ersten Schrecken überwunden hatte, betrachtete sie den Hund eingehender. Er sah gut aus, sehr gepflegt, war anscheinend gut gelaunt und umgänglich. Also kein Streuner.
"Gehst du immer alleine spazieren oder gibt es da draußen irgendwo ein Herrchen oder ein Frauchen, dem du weggelaufen bist, hm?"
Der Hund seufzte nur und machte es sich bequem, ganz in die Streicheleinheiten vertieft, die Hanne bereitwillig verteilte. Eigentlich hatte sie ja mit Tieren nichts am Hut. Tiere gehörten nicht in die Stadt und es war ihr nie in den Sinn gekommen, sich eine Katze oder einen Hund anzuschaffen. Sie hatte auch überhaupt keine Erfahrung im Umgang mit Tieren, aber dieser Hund schien ein netter und unkomplizierter Zeitgenosse zu sein.
"Keks gefällig?" fragte Hanne nach einer Weile und hielt dem Hund einen Keks hin, den er mit größter Vorsicht aus ihren Fingern nahm. Er knurpste glücklich seinen Keks und drückte dann wieder seine feuchte Nase in Hannes Gesicht, die ihn kurzerhand umarmte. Es fühlte sich gut an, den riesigen Hund zu umarmen. Sein Fell war überraschend weich und roch nach Hund, aber auf eine saubere Art, die Hanne nicht unangenehm war. Plötzlich spürte Hanne einen Kloß in ihrem Hals. Sie war Umarmungen nicht gewohnt und konnte sich nicht erinnern, dass ihr jemals jemand seine Zuneigung gezeigt hatte. Mit großer Anstrengung drängte sie die Tränen zurück und schob den Hund weg.
"So mein Lieber, jetzt aber nichts wie ab nach Hause!"
Der Hund schien keine richtige Lust zu haben, nach Hause zu gehen oder wo auch immer er hergekommen war, aber nachdem Hanne ihm noch einen weiteren Keks gegeben und zum Abschied den Kopf getätschelt hatte, trollte er sich schließlich und verschwand.
Die Nachmittagssonne war angenehm warm und Hanne war erschöpft, von ihrer ungewohnten Wanderung und den schlechten Betten der billigen Hostels, in denen sie übernachtet hatte.
Müde fuhr sie sich durch ihre kurzen schwarzen Haare, suchte sich ein etwas bequemeres Plätzchen, wo sie sich auf den Boden legte und ihren Kopf auf ihren Rucksack bettete. Sie würde sich nur einen Augenblick ausruhen, einen winzigen Augenblick, und dann würde sie versuchen, den Weg zurück zu der kleinen Ortschaft mit der Fährstation zu finden. Irgendeine Übernachtungsmöglichkeit musste es dort ja geben und Hanne war fest entschlossen, heute Nacht in einem guten Bett zu schlafen, in einem Zimmer mit Bad, damit sie sich endlich wieder richtig duschen konnte. Das war ein schöner Gedanke und sie merkte gar nicht, wie ihr die Augen zufielen.
Es war die Kälte, die sie weckte.
Erschrocken fuhr Hanne hoch und blickte sich um, einen Augenblick lang war sie orientierungslos und hatte keine Ahnung, wo sie war. Sie schlotterte vor Kälte und zerrte mit steifen Fingern ihre Jacke aus dem Rucksack. Die Jacke war noch vom letzten Regen feucht und wärmte sie nicht besonders und ihre Füße, die in den nassen, durchgelatschten, billigen Sneakers steckte, fühlten sich an wie Eisklötze.
Zu ihrem Schrecken musste sie feststellen, dass bereits die Dämmerung eingesetzt hatte und das Wetter umgeschlagen war. Es hatte sich deutlich abgekühlt und ein hartnäckiger Nieselregen hatte eingesetzt. Und das war noch nicht alles, Nebel stieg auf und hüllte alles in einen grauen Schleier, der sich um Hanne herum zu einer undurchdringlichen Wand verdichtete.
Ihr war schnell klar, dass es nichts gab, was sie tun konnte. Wenn sie jetzt losging, würde sie zweifellos über irgendeine Klippe in den Abgrund stürzen, und außerdem hatte sie keine Ahnung, wo sie war und in welche Richtung sie gehen musste, um zurück in die kleine Ortschaft zu gelangen. Und selbst wenn sie es gewusst hätte, in dem Nebel konnte sie stundenlang im Kreis gehen, ohne es zu merken.
Ihre Lage war alles andere als gut, um nicht zu sagen beschissen. Sie hatte keine Ahnung, wie man im Freien übernachtete, und natürlich hatte sie auch nicht die richtigen Sachen dabei. Es war dumm von ihr gewesen einzuschlafen, aber daran konnte sie jetzt auch nichts mehr ändern. Also musste sie sich etwas einfallen lassen. Zuerst checkte sie ihr Handy, das natürlich hier oben auf den Klippen keinen Empfang hatte. War ja klar. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Nacht hier oben bei Nieselregen und Nebel in den Klippen zu verbringen. Fantastisch. Ein Abenteuer! Missgelaunt blickte Hanne sich um, aber es gab niemanden, den sie beschimpfen konnte oder der eine bessere Idee hatte, also stand sie auf, nahm ihren Rucksack und ging langsam und vorsichtig durch den dichten Nebel an dem Felsen entlang, bis sie eine kleine Nische fand, die ihr etwas Schutz vor Wind und Regen bot. Sie legte ihren Rucksack auf den Boden, setzte sich darauf verkroch sich in ihre Jacke. Um sich die Zeit zu vertreiben, aß sie alles, was sie noch an Essbarem dabei hatte. Viel war es nicht, die restlichen Kekse, zwei Äpfel und ein Schokoriegel, aber besser als nichts.
Nebel und Dunkelheit umgaben sie und sie fragte sich, ob es hier oben Trolle oder andere Fabelwesen gab, die ihr wohlmöglich nicht wohlgesonnen waren. Ihr wurde ein wenig mulmig zumute und sie hielt ihre Taschenlampe fest umklammert, die sie ab und zu einschaltete, um die Umgebung nach Trollen und dergleichen abzusuchen. Wenigstens hatte sie eine Taschenlampe, der einzig sinnvolle Gegenstand in ihrem Rucksack. Die Zeit verging im Schneckentempo. Das konnte ja heiter werden. Ein Blick auf ihr Handy zeigte ihr, dass Mitternacht schon eine Weile vorbei war. Na immerhin, die Geisterstunde hatte sie überstanden, ohne dass Gespenster oder Monster aus dem Nebel aufgetaucht waren. Wann ging die Sonne auf? Um fünf? Um halb sechs?
Die Felsennische hielt zwar ein bisschen Regen und Wind ab, aber das half nicht viel, ihr war trotzdem ganz schön kalt. Um nicht zu sagen, sehr kalt. Extrem kalt. Sie zitterte und klapperte so laut mit den Zähnen, dass jeder Storch neidisch geworden wäre. Sie seufzte. Vielleicht sollte sie ein bisschen herumlaufen, damit ihr wieder warm wurde? Während sie sich noch überlegte, ob das Risiko zu erfrieren größer war als das Risiko, in eine Felsspalte oder von den Klippen zu stürzen, schoss plötzlich etwas Graues und Zotteliges aus dem Nebel und dann fuhr etwas Warmes und Nasses über das Gesicht.
"Wo kommst du den her?" fragte Hanne den Hund verblüfft, der anfing, wie verrückt zu bellen und hin und her zu rennen. Dann winselte er und stupste sie mit seiner Nase an.
"Alles gut, du Riesenbaby", beruhigte ihn Hanne.
Wenn der Hund da war, dann gab es ja vielleicht auch irgendwo in der Nähe einen Hundebesitzer? Hanne sprang auf und fuchtelte wie wild mit der eingeschalteten Taschenlampe herum.
"Ich bin hier! Ich bin hie-hier! Ich bin hiiiiiiier!" schrie sie und hüpfte herum. Ihre durchweichten Sneakers quatschten bei jedem Sprung. Sie hörte auf herumzuhüpfen und richtete stattdessen den Strahl der Taschenlampe in die Richtung, in die der Hund wieder verschwunden war, konnte aber außer dem dichten Nebel nichts erkennen. Sie hatte keine Ahnung, wie der Hund sie in dieser Milchsuppe gefunden hatte. Plötzlich sah sie ein schwaches Licht im Nebel und dann einen schemenhaften Umriss. Einen großen Umriss. Einen sehr großen Umriss. War das jetzt ein Troll? Oder gab es in Irland Riesen?
Der Hund kam wieder wie eine Kanonenkugel auf sie zugeschossen, winselte und bellte und drückte sich so eng an ihre Beine, dass er sie fast umwarf. Hanne bemerkte den Hund kaum, fasziniert starrte sie auf den Umriss, der sich schließlich aus dem Nebel löste und als ein Mann entpuppt.
"Bist du ein Riese?" fragte Hanne und starrte ihn an.
Der Mann blieb vor ihr stehen und starrte mit einem Gesichtsausdruck zurück, der zwischen Verärgerung und Verblüffung schwankte.
"Was um alles in der Welt machst du hier in den Klippen, Mädchen?" fragte er dann. Er hatte eine tiefe Stimme, ein wenig brummig, aber angenehm.
Mädchen?
"Wandern."
Er senkte seinen Blick kurz auf ihre Sneakers, die sich vorher schon in einem erbärmlichen Zustand befunden hatten und jetzt so aussahen, als würden sie ihr gleich von den Füßen fallen.
"Ah", sagte er, als wäre die Angelegenheit damit geklärt. Dann zog er seine Jacke aus, wickelte Hanne in die Jacke, hängte sich ihren Rucksack über die Schulter und nahm Hanne auf den Arm, als wäre sie ein kleines Mädchen.
"He, ich kann selbst laufen!" protestierte Hanne halbherzig, aber die Jacke war ein warmer, weicher Kokon und der Mann trug sie offensichtlich mühelos und ohne Anstrengung.
"Mit den Schuhen?"
Klar hatte er Recht, aber Hanne fühlte sich trotzdem getroffen.
"Es sind gute Schuhe!" stellte sie deshalb richtig, woraufhin der Mann ihr einen Blick zuwarf, den sie nicht richtig deuten konnte. Hanne beschloss deshalb, erst einmal nichts mehr zu sagen. Der Mann folgte zügig seinem Hund, der seinen Besitzer zielstrebig durch den Nebel und die Dunkelheit führte, die nur vom schmalen Lichtkegel seiner Lampe erhellt wurde.
"Wie hast du mich gefunden?" fragte Hanne nach einer Weile, auch wenn es ihr komisch vorkam, ein Gespräch mit einem unbekannten Riesen zu führen, der sie wie ein kleines Kind auf den Armen trug.
"Er hat dich gefunden."
Der Mann machte mit dem Kopf eine nickende Bewegung in Richtung seines Hundes.
"Ich habe ihn heute Nachmittag schon einmal gesehen. Er hat mich ganz schön erschreckt. Ich wusste nicht, dass es so große Hunde gibt."
"Ah, das erklärt einiges."
"Was erklärt es denn?" fragte Hanne, um das Gespräch in Gang zu halten.
"Warum er keine Ruhe gegeben hat, bis ich mit ihm in die Klippen gegangen bin."
Sehr redselig war der Mann nicht, und so lehnte Hanne den Kopf an seine Schulter und genoss die kuschelige Wärme seiner Jacke. Nach einer Weile, die Hanne wie eine Ewigkeit vorkam, blieb der Mann stehen und setzte Hanne vorsichtig auf dem Boden ab. Er war wirklich groß, sie reichte ihm gerade einmal bis zur Brust und musste den Kopf in den Nacken legen, um ihn anzusehen.
Hanne blickte sich um und sah, dass sie an einem großen, schwarzen Geländewagen angekommen waren, der deutliche Gebrauchsspuren aufwies. Der Mann öffnete die Wagentür und der Hund sprang auf den Rücksitz, den er komplett für sich in Anspruch nahm. Während der Mann ihren Rucksack im Kofferraum verstaute, kletterte Hanne umständlich auf den Beifahrersitz. Sollte sie dem Mann die Jacke zurückgeben? Verstohlen musterte sie ihn. Er trug nur Jeans und ein T-Shirt, das sich über seiner breiten Brust und den muskulösen Armen spannte, und sah nicht so aus, als ob ihm kalt wäre. Hanne beschloss deshalb, die Jacke anzubehalten, so lange er sie nicht zurückforderte. Der Mann öffnete die Fahrertür und stieg mit einer Geschmeidigkeit ein, die Hanne bei seiner Größe überraschte.
"Danke", sagte Hanne und sie meinte es auch so. "Danke, dass du gekommen bist und mich gesucht hast. Ich war dumm, ich bin eingeschlafen und als ich aufgewacht bin, war das Wetter bereits umgeschlagen und die Dämmerung hatte eingesetzt. In dem Nebel hätte ich nie zurückgefunden."
"Braden."
Hanne schaute den Mann kurz verwirrt an. Er war offensichtlich kein Mann von vielen Worten.
"Siobhán."
Überrascht sah er sie an. Er hatte unglaublich schöne grüne Augen, die seinem vollbärtigen, kantigen Gesicht die Strenge nahmen.
"Siobhán. Ein irischer Name. Du bist aber keine Irin."
Hanne stockte kurz der Atem. So wie er ihren Namen aussprach, klang er ganz anders und auf einmal wunderschön.
"Aber alle nennen mich Hanne."
"Ich bin froh." Er wandte den Blick von ihr ab und startete den Wagen.
"Du bist froh, dass mich alle Hanne nennen?" fragte Hanne verdutzt. Es war nicht einfach, aus diesem einsilbigen Mann schlau zu werden.
"Dass ich dich gefunden habe", erwiderte er.
Er sagte das auf eine Art und Weise, die ein warmes und wohliges Gefühl in Hanne auslöste. Sie erstarrte. Was bildete sie sich da ein? Das mussten die Kälte und die Angst sein, wahrscheinlich hatte sie einen Schock.
Hanne verkroch sich in die Jacke und schwieg für den Rest der kurzen Fahrt. Als sie die Lichter der kleinen Ortschaft sah, wandte sie sich wieder dem Mann zu.
"Danke nochmal für alles, Braden. Hier gibt es sicher irgendwo ein Bed and Breakfast, in dem ich übernachten kann, da kannst du mich absetzen."
Er sah sie an, als ob sie den Verstand verloren hätte.
"Es ist drei Uhr nachts, Siobhán. Du kannst bei mir auf dem Sofa schlafen."
"Aber..."
Sie klappte den Mund wieder zu. Braden hatte natürlich Recht, um diese Uhrzeit lagen alle in ihren Betten und sie würde sicherlich niemanden finden, der ihr jetzt noch ein Zimmer vermietete.
Der Hund streckte den Kopf zwischen den Sitzen nach vorne und leckte Hanne wieder über das Gesicht.
"Igitt, du Riesenbaby, lass das!"
Er sah sie mit einer Begeisterung an, als ob sie ihn gerade gelobt hätte. Hanne musste lachen.
"Wie heißt er denn?"
"Wulf."
Zur Bestätigung leckte der Hund ihr erneut das Gesicht ab.
"Lass das!" sagte Hanne streng und gab ihm einen kleinen Klapps auf die Nase. Der Hund stieß ein beleidigtes Winseln aus, dann drückte er Hanne seine feuchte Hundenase an den Hals und ließ sich wieder auf die Rückbank sinken.
"Na, geht doch!" lobte Hanna ihn und wurde mit Schwanzwedeln belohnt.
Sie sah, dass Braden sie beobachtete. Sein Gesichtsausdruck war unergründlich, aber Hanne spürte erneut diese sonderbare Wärme, die sich in ihr ausbreitete. Verlegen wandte sie den Blick ab und sah, dass er den Geländewagen vor einem weiß gestrichenen Haus geparkt hatte. Über der großen Eingangstür baumelte ein leicht angeschlagenes Schild, auf dem in geschnörkelten weißen Buchstaben "Braden's Pub" stand.
Neugierig stieg sie aus und folgte Braden, der ihren Rucksack aus dem Kofferraum holte und die Eingangstür öffnete, die nicht abgeschlossen war. Er führte sie durch das Pub in ein Hinterzimmer, das er offensichtlich als Büro nutzte und von wo aus eine Treppe in den ersten Stock führte. Ungeduldig drängelte Wulf sich an ihr vorbei und stürmte die Treppe nach oben. Ein wenig unsicher folgte Hanne ihm und sah sich dann erstaunt um. Die gesamte obere Etage war ein einziger offener Raum, der hoch bis zum Dach mit einem wuchtigen Holzgebälk reichte. Braden bemerkte ihre Überraschung.
"Ich bin groß" sagte er nur, was seiner Ansicht nach wohl eine ausreichende Erklärung für diesen fantastischen Loft war.
"Das Bad ist da." Er deutete auf eine Tür im hinteren Bereich unterhalb einer Galerie, auf der Hanne ein Bett erkennen konnte.
"Ich hab keine trockenen und sauberen Klamotten mehr", sagte Hanne unglücklich und starrte sehnsüchtig die Badezimmertür an.
"Du kannst ein T-Shirt von mir haben. Rest ist in der Schublade."
"Echt?" Freudig und dankbar sah sie Braden an und verschwand dann im Bad, das T-Shirt an die Brust gedrückt als wäre es ein kostbarer Schatz.
Das Bad war genauso wie der Rest der Wohnung: groß. Hanne hatte noch nie in ihrem Leben in einer so schönen und geräumigen Dusche geduscht und es fühlte sich unglaublich gut an, wie das warme Wasser von oben auf sie herabprasselte. Sie duschte sich trotzdem sparsam, denn sie verschwendete nie etwas, auch kein heißes Wasser. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, betrachtete sie mit gerümpfter Nase ihre durchweichte Unterwäsche. Was hatte Braden gesagt? Der Rest ist in der Schublade? Versuchsweise zog sie die Schubladen von der hübschen Holzkommode auf und tatsächlich, in einer Schublade befand sich ein Sammelsurium an bunt durcheinander gewürfelter Frauenunterwäsche. Hanne schoss die Röte ins Gesicht, als sie sich vorstellte, wie die Unterwäsche hier gelandet war. Sie kühlte ihre heißen Wangen mit kaltem Wasser, suchte sich dann einen Schlüpfer und ein Tanktop heraus, die ihr von der Größe her passen könnten, und zog Bradens T-Shirt über den Kopf, das ihr bis über die Knie reichte.
Als sie wieder in den Loft kam, sah sie, dass Braden in der offenen Küche am Herd stand, ein Geschirrtuch über die Schulter geworfen, und etwas in einer Pfanne wendete, was unglaublich gut roch. Ihr Magen knurrte laut und ihr wurde vor lauter Hunger leicht schwindelig. Er hatte gekocht? Um drei Uhr nachts? Unsicher ging sie zu ihm und obwohl ihre nackten Füße keine Geräusche auf den Holzdielen machten, hörte er sie kommen und drehte sich zu ihr um. Er sah entspannt aus und ein winzig kleines Lächeln umspielte seine Lippen.
"Auf den Schreck brauchst du erstmal was Herzhaftes. Ich hoffe, du magst Bratkartoffeln mit grünen Bohnen, Speck und Spiegelei."
Was? Er kochte tatsächlich etwas für sie?
Völlig unvermittelt brach Hanne in Tränen aus. Niemand hatte jemals etwas für sie gekocht. Oder sich Gedanken um sie gemacht. Oder etwas Nettes zu ihr gesagt oder für sie getan. Braden war nicht nur mitten in der Nacht in die Klippen gegangen, um sie zu suchen, er hatte sie auch bis zum Auto getragen, ihr sein Sofa angeboten und sein T-Shirt gegeben und jetzt kochte er auch noch für sie. Das war einfach zu viel für Hanne, und jetzt, wo der Damm gebrochen war, konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Braden schob die Pfanne vom Herd, war mit einem Schritt bei ihr und zog sie in seine Arme. Und obwohl er so groß und kräftig und sie so klein und zierlich war, fühlte sich seine Umarmung genau richtig an.
Er stand wie ein Fels in der Brandung und hielt sie einfach nur fest, bis ihre Tränen versiegten. Er fragte sie nicht, warum sie weinte, und er sagte ihr auch nicht, sie solle damit aufhören. Er wartete einfach ab, bis sie sich wieder beruhigt hatte, reichte ihr dann ein Taschentuch und stellte die Pfanne wieder auf den Herd.
Hanne putzte sich die Nase und atmete dann tief durch. Wulf stand neben ihr, und leckte ihre Hand ab. Sie lächelte ihn an und streichelte seinen Kopf.
Braden briet in einer zweiten Pfanne Spiegeleier und verteilte das Essen dann auf zwei Teller. Dann sah er sie an.
"Tisch oder Sofa."
"Sofa", sagte Hanne und nahm sich den Teller mit dem kleineren Berg Bratkartoffeln, der neben Bradens Portion winzig aussah.
"Voll lecker", sagte Hanne mit vollem Mund und schloss dann genüsslich die Augen, bevor sie die Gabel wieder in die Bratkartoffeln auf ihrem Teller versenkte, den sie auf den Knien balancierte. Braden, der es sich in einer Ecke des überdimensionalen Sofas bequem gemacht und die Beine hochgelegt hatte, gab einen zustimmenden Laut von sich und schaufelte sich ungeniert die Bratkartoffeln in den Mund. Hanne spürte einen schmerzhaften Stich in ihrem Herzen. Dieses nächtliche Bratkartoffelessen auf dem Sofa hatte etwas Vertrautes, als ob sie und Braden sich schon ewig kennen würden. Aber sie wusste, dass es so etwas für sie nicht gab. Nicht in ihrem Leben, das aus Einsamkeit und Unsichtbarsein bestand. Sie stellte den Teller, den sie in Rekordgeschwindigkeit geleert hatte, auf den Couchtisch und lehnte sich in die weichen Sofakissen zurück.
Was für ein Tag, dachte sie noch, was für ein verrückter Tag, und dann schlief sie ein.
Die Sonne weckte sie am nächsten Morgen. Sie schien strahlend durch die großen Fenster, von einem blauen, wolkenlosen Himmel, von dem nächtlichen Nieselregen und dem Nebel war keine Spur mehr zu sehen. Hanne kuschelte sich in die flauschige Decke und genoss den Moment. Braden musste sie zugedeckt haben, als sie gestern Nacht auf dem Sofa eingeschlafen war. Braden... Hanne spürte wieder, wie ihr Herz schmerzhaft zusammengepresst wurde. Braden war aus einer anderen Welt, er war für sie genauso unerreichbar, als ob er auf dem Mond leben würde. Hanne wusste nicht, wie sie mit ihren plötzlichen Gefühlen für einen Mann umgehen sollte, sie hatte bis gestern überhaupt nicht gewusst, dass sie zu solchen Gefühlen fähig war. Ihre bisherigen Erfahrungen mit Männern ließen sich mit einem Wort zusammenfassen: keine. Und Braden... dieser Mann und alles, was sie mit ihm erlebt hatte, war einfach zu schön, um wahr zu sein. Hanne wusste nur zu gut, dass es im echten Leben keine Märchen gab. Keine Märchen, keine Märchenprinzen und kein Happy End. Heute würde sie gehen müssen, heute würde sie diesen unglaublichen Glücksmoment zurücklassen und in ihr einsames kleines Leben zurückkehren müssen.
Als sie Braden hörte, der die Treppe von der Galerie herunterkam, schloss sie schnell wieder die Augen. Sie würde das alles hier noch ein ganz kleines bisschen genießen und sich alles genau einprägen, damit sie wenigstens die Erinnerung daran mitnehmen konnte. Sie hörte, wie Braden zum Sofa kam und stehen blieb. Und dann spürte sie plötzlich, wie er ihr einen sanften Kuss auf die Schläfe drückte. Was? Bevor sie sich überlegen konnte, was sie jetzt tun sollte, war er auch schon wieder verschwunden und sie hörte, wie sich die Badezimmertür hinter ihm schloss.
Als er aus dem Bad kam, setzte Hanne sich auf dem Sofa auf und rieb sich die Augen.
"Morgen", murmelte sie verlegen und sah ihn an. In ihren Bauch spürte sie ein Flattern. Schmetterlinge im Bauch. Das waren also die famosen Schmetterlinge im Bauch.
"Guten Morgen Siobhán." Er lächelte sie an und Hanne stockte der Atem. Das Lächeln machte Dinge mit seinem Gesicht, die wiederum Dinge mit Hannes Herzen anstellten, über die sie gar nicht genauer nachdenken wollte. Scheu lächelte sie zurück.
"Ich hab gestern Abend deine Sachen in den Waschtrockner geschmissen, die kannst du wieder anziehen."
"Echt jetzt? Also, danke." Immer noch verlegen huschte Hanne an ihm vorbei ins Bad. Er hatte ihre Kleidung sorgfältig zusammengefaltet und auf die Kommode gelegt, als ob es keine billigen Sachen aus dem Second-Hand Shop sondern Designerstücke wären. Und er hatte ihr sogar eine noch eingepackte Zahnbürste hingelegt. Hanne schossen wieder die Tränen in die Augen und sie räusperte sich. Hör auf damit! rief sie sich selbst zur Ordnung, duschte sich kalt, um sich ein bisschen abzukühlen, putzte sich die Zähne und schlüpfte dann in ihre Jeans und ein T-Shirt. Die Kleidungsstücke waren weich vom Wäschetrockner und dufteten nach Sommer und Sonne.
Im Loft stand Braden in der offenen Küche vor einem Gerät voller glitzernder Chromteile, das aussah wie der Motor eines Rennwagens, und pfiff melodisch vor sich hin, während er an dem Ding herumhantierte. Kurz darauf lüftete der köstliche Kaffeeduft das Geheimnis um das seltsame Gerät, bei dem es sich um eine Kaffeemaschine handeln musste, auch wenn Hanne so was noch nie gesehen hatte.
"Wow", flüsterte sie andächtig und sog dann den Kaffeeduft gierig ein.
"Wow was?" fragte Braden, während die Kaffeemaschine ein lautes zischendes Geräusch von sich gab.
"Das ist mal ne Kaffeemaschine. Sowas habe ich ja noch nie gesehen!"
Neugierig trat Hanne zu ihm und sah ihm dabei zu, wie er in einem Krug Milch aufschäumte und im Handumdrehen einen Cappuccino zauberte.
"Kaffee ist mein Lebenselixier", erklärte Braden, der heute Morgen ausgesprochen gesprächig zu sein schien. Er reichte Hanne eine Tasse und beide genossen schweigend den köstlichen Cappuccino. Es gefiel Hanne, dass sie mit Braden schweigen konnte, und ihr wurde das Herz schwer.
"Hast du es eilig?" fragte Braden sie unvermittelt und kratzte mit seinem Löffel die letzten Milchschaumreste aus der Tasse.
Eilig? Nein, sie hatte es überhaupt nicht eilig, hier wegzukommen, aber bleiben konnte sie auch nicht.
"Wieso?" fragte sie deshalb vorsichtig zurück und bemühte sich, einen neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen.
"Darf ich dich um einen Gefallen bitten?"
Die vielen Worte, die heute aus Bradens Mund kamen, verwirrten Hanne, vor allem weil er einen so schönen Mund mit Lippen hatte, die nicht zu schmal und nicht zu voll waren. Hanne blinzelte ein paar Mal, um aus ihrer Traumwelt wieder zurück in die Realität zu finden, und räusperte sich verlegen.
"Na klar, nach der Aktion gestern Nacht schulde ich dir mehr als einen Gefallen."
Braden sah ehrlich erfreut aus und auf seinem Gesicht erschien wieder dieses Lächeln, das ihr Herz dazu brachte, wie wild in ihrer Brust zu klopfen.
"Heute Abend ist das Pub voll, es kommt eine ganze Busladung Touristen. Ich müsste nochmal rüber auf die große Insel, um ein paar Sachen zu besorgen. Das würde schneller gehen, wenn ich Wulf hier bei dir lassen könnte. Kannst du die Stellung halten, bis ich zurückkomme?"
Hannes Gedanken rasten und sie vergaß das Atmen. Hier bleiben? Noch ein ganzer Tag hier an diesem wundervollen Ort mit Braden?
"Klar, mach ich gerne!"
Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken und hoffte innständig, dass Braden ihr ihre Begeisterung nicht ansah.
"Fantastisch! Wulf, du bleibst hier bei Siobhán. Und pass gut auf sie auf!"
Der Hund bellte zustimmend und wedelte mit dem Schwanz.
"Und du, fühl dich ganz wie zu Hause. Bis später!"
Im Vorbeigehen beugte er sich herunter und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
Was?
Hanne erstarrte, aber Braden war schon mit großen Schritten die Treppe hinunter verschwunden und kurz darauf hörte sie, wie er mit dem Auto davonfuhr.
Wulf machte keine Anstalten, seinem Herrchen zu folgen, sondern richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf Hanne. Anscheinend nahm er das mit dem Aufpassen sehr ernst. Hanne konnte nicht anders, sie freute sich so, noch einen Tag hierbleiben zu können, dass sie den riesigen Hund umarmte, was Wulf geduldig über sich ergehen ließ.
"Und jetzt?" fragte sie den Hund dann. Sie war es nicht gewohnt, nichts zu tun. Ihr Leben war immer von Arbeit erfüllt gewesen und sie hatte das Bedürfnis, sich nützlich zu machen. Was hatte Braden gesagt? Heute Abend war das Pub voll? Dann sah sie wohl mal besser nach dem Rechten.
Kurze Zeit später war sie damit beschäftigt, den Boden im Pub gründlich zu schrubben. Die Sonne schien und sie hatte alle Fenster und die Tür aufgerissen und die Stühle auf die Tische gestellt. Als sie damit fertig war, polierte sie die Holztheke und wischte die Tische ab. Dann inspizierte sie die Küche, die gut ausgestattet und gut in Schuss war. Hier gab es für Hanne nicht viel zu tun, aber das überraschte sie nicht, denn Bradens Loft war auch sehr sauber und aufgeräumt. Also putzte sie die Fenster, die das nach dem Regen in der vergangenen Nacht gut gebrauchen konnten, und machte sich dann daran, die unzähligen Whiskyflaschen abzustauben, die auf den Regalen hinter der Theke standen. Zwischendurch ging sie nach oben, machte sich ein belegtes Brot und fütterte Wulf, aber dann zog es sie wieder hinunter in das Pub, ihr gefiel es hier, die alten aber gepflegten Holztäfelungen, der knarrende Holzboden voller Macken, der echten Charakter hatte, und die vielen Whiskyflaschen, die nach dem Abwischen glänzten und funkelten wie Edelsteine. Sie merkte gar nicht, wie die Zeit verging, und war so in ihre Tagträume vertieft, dass sie vor Schreck fast eine Flasche fallen ließ, als das Telefon im kleinen Büro klingelte. Sie ging nicht ran, es war ja schließlich Bradens Telefon. Aber das Telefon hörte nicht auf zu klingeln und deshalb nahm sie den Hörer schließlich doch ab.
"Braden's Pub" sagte sie versuchsweise in den Hörer.
"Gott sei Dank, Siobhán!"
Braden!
"Hör mal Siobhán, ich hab hier ein echtes Problem mit meinem Auto. Ich bekomme das schon hin, aber ich werde die Fähre verpassen und zu spät kommen. Kannst du die Touristen irgendwie hinhalten, bis ich komme?"
Wow, das war ja eine ganze Rede für einen so wortkargen Mann wie Braden, deshalb war Hanne sofort klar, dass diese Veranstaltung heute Abend für Braden wichtig war.
"Ja, mach ich, du kannst dich auf mich verlassen."
"Danke", sagte er und legte auf.
Das war mal wieder typisch für Braden. Keine Anweisungen, keine weiteren Erklärungen, nichts.
Hanne überlegte kurz und sah dann auf die Uhr. Drei Uhr. Spätestens um sechs würden die Touristen bestimmt kommen und dann wollten sie mit Sicherheit etwas essen. Touristen wollten immer was essen.
"Wulf, jetzt müssen wir uns ranhalten!"
Wulf bellte zustimmend und folgte Hanne in die Küche, wo sie alle Schränke inspizierte, um sich einen Überblick zu verschaffen. Dann begutachtete sie die Vorräte in der Vorratskammer, in der es auch eine riesige Gefriertruhe gab. Hanne war keine Sterneköchin, aber wenn sie eines in ihrem Leben gelernt hatte, dann war es das Improvisieren. Sie fand Trockenhefe und setzte erst einmal Brotteig an. Eine ganze Menge Brotteig, denn der musste in Ruhe gehen, sonst wurde das Brot nichts. Dann stellte sie zwei große Töpfe auf den Herd. In den einen gab sie die Zutaten für ein Stew. Das Fleisch war zwar noch gefroren, aber das würde schon weichkochen und sie würde es hinterher in Stücke schneiden. Im anderen Topf setzte sie eine Kartoffelsuppe an. Da würde sie später noch gebratenen Speck und Würste hineinschneiden. Sie brauchte ziemlich lang, um das Gemüse und die Kartoffeln zu schneiden, aber schließlich köchelten das Stew und die Kartoffelsuppe vor sich hin. Hanne heizte den Backofen vor und schob dann die ersten Brotlaibe hinein. Sie würde in zwei oder drei Durchgängen backen müssen. Mit einem Geschirrtuch wischte sie sich die Stirn ab und bereitete dann noch zwei riesige Auflaufformen vor. Nudelauflauf mit grünen Bohnen, viel Käse und Sahnesauce. Bestimmt gab es Vegetarier unter den Touristen, die sollten ja nicht zu kurz kommen. Schnell machte sie noch einen Krümelteig aus Butter, Zucker und zerbröselten Keksen, verteilte den Krümelteig auf drei großen Backblechen, darauf kam reichlich Apfelmus und als Topping oben drauf Soure Cream, die sie mit Eigelb und Zucker aufgeschlagen hatte. Der volle Schummelkuchen, aber besser als nichts.
Dann warf sie einen Blick auf die Uhr. Fünf Uhr. Von Braden immer noch keine Spur, aber sie lag gut in der Zeit, das würde schon klappen. Sie schnitt die ersten Brote auf, die ihr überraschend gut gelungen waren, und richtete sie dann auf großen runden Holzbrettchen an, die sie in einem der Schränke gefunden hatte. Dazu kam jeweils eine Schale mit reichlich Butter, eine Schale mit Mixed Pickles und etwas von dem großen Schinken aus der Vorratskammer.
Gerade, als sie die ersten Holzbrettchen auf die Tische stellte, auf denen sie schon Bierkrüge mit Besteck und Papierservietten verteilt hatte, ging die Tür auf und eine bunt gemischte Gruppe Personen drängte sich in das Pub. Hanne zählte dreißig Personen und atmete erleichtert auf, ihr Essen würde problemlos reichen.
Ein Mann, bei dem es sich offensichtlich um den Reiseführer handelte, kam zu ihr.
"Hallo, ich bin Kay. Wo ist den Braden?"
"Hi Kay, ich bin Hanne. Braden kommt gleich", versicherte Hanne ihm. Dann kletterte sie auf einen Stuhl und rief über die Köpfe hinweg: "Macht es euch gemütlich, Leute!"
Das ließen sich die Leute nicht zweimal sagen, sie verteilten sich an den Tischen, es gab ein wenig Gedränge und Stühlerücken und dann fand jeder seinen Platz.
Und jetzt? Wo blieb Braden?
Sie machte einfach das, was ihr am praktischsten erschien, zapfte verschiedene Biere und füllte ein Tablett mit Biergläsern, Wasser und Softdrinks und ging von Tisch zu Tisch. Die Leute nahmen sich einfach das vom Tablett, was sie trinken wollten, und schon bald war das Pub von Stimmengewirr und Gläserklirren erfüllt. Ein seltsames Glücksgefühl breitete sich in Hanne aus, sie konnte es gar nicht beschreiben. Es fühlte sich einfach gut an, hier zu sein. Der Lärmpegel stieg, während sich die Gäste über das frische Brot hermachten. Hanne kletterte wieder auf einen Stuhl und schlug zwei Topfdeckel zusammen. Gelächter ertönte, aber der Lärmpegel sank soweit, dass sie sich verständlich machen konnte.
"Also Leute, es gibt Stew, Kartoffelsuppe mit Speck und Würsten und Nudelauflauf mit grünen Bohnen und Käse-Sahne-Sauce. Wer will das Stew? Die Kartoffelsuppe? Den Nudelauflauf?"
Unter weiterem Gelächter hoben die Gäste ihre Hände und Hanne ging in die Küche, um das Essen vorzubereiten. Statt auf Tellern, servierte sie alles in Schalen, die sie in einem der Schränke gefunden hatte. Das war einfacher für sie, weil sie keine Erfahrung mit dem Bedienen hatte, und außerdem passte das gut zur rustikalen Atmosphäre vom Pub.
Sie hatte ungefähr die Hälfte der Gäste mit Essen versorgt, als die Tür aufging und Braden das Pub betrat. Sein Gesichtsausdruck wechselte schlagartig von besorgt zu verblüfft, aber er fing sich sofort wieder und trat zu Kay. Die zwei umarmten sich und schlugen sich gegenseitig auf die Schulter, wobei Kay fast in die Knie ging. Dann redeten sie miteinander und lachten. Hanne lächelte und ging zurück in die Küche, um weitere Essen zu holen. Mittlerweile stand Braden hinter dem Tresen und zapfte schäumendes Bier in die Krüge und warf ihr dabei Blicke zu, die sie nicht deuten konnte. Immer wieder standen Leute auf und gingen zu ihm an den Tresen, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Einige machten sogar ein Selfie mit Braden. War er etwa so etwas wie eine Berühmtheit?
Hanne räumte das Geschirr ab, versorgte noch den ein oder anderen Gast mit einem Nachschlag und bereitete dann in der Küche die Teller mit dem Kuchen vor. Gerade als sie ihre Nase in den Kühlschrank steckte auf der Suche nach Schlagsahne, kam Braden in die Küche. Er zog sie wortlos in seine Arme und küsste sie, diesmal auf den Mund. Seine Lippen waren samtig und er schmeckte ein bisschen nach Bier. Hannes Herz schlug so heftig, dass sie das Gefühl hatte, sie würde gleich in Ohnmacht fallen. Dann war der Kuss vorbei und sofort vermisste Hanne seine Lippen, seine Nähe und seine Wärme.
"Wie hast du das alles geschafft, Siobhán?"
Hanne zuckte verlegen mit den Schultern.
"Wulf hat mir geholfen. Und ich bin gut im Improvisieren."
"Du bist fantastisch, Siobhán."
Braden nahm vorsichtig ihr Gesicht in seine großen Hände, als hätte er Angst, sie würde zerbrechen, und küsste sie noch einmal auf den Mund.
"Ich muss den Kuchen rausbringen", sagte Hanne nach einer Weile atemlos und schob Braden weg.
"Kuchen?"
"Ja, was anderes konnte ich auf die Schnelle nicht als Dessert machen."
Sanft fuhr Braden ihr mit den Fingern über die Wange.
"Danke", flüsterte er und dann verschwand er wieder im Pub.
Hanne starrte ihm hinterher und wusste nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. In ihrem Herzen und ihrer Seele herrschte ein unglaubliches Gefühlschaos. Sie atmete tief durch. Darüber konnte sie später nachdenken, jetzt mussten erst die Gäste versorgt werden. Sahne fand sie keine, aber dafür Vanilleeis in der Gefriertruhe, also servierte sie ihren Apfelkuchen mit einer guten Portion Vanilleeis und dekorierte das Ganze mit etwas Karamellsirup, auf das sie in der Vorratskammer gestoßen war.
Im Pub herrschte ausgelassene Stimmung, die Gäste unterhielten sich lautstark, lachten viel und machten Hanne so viele Komplimente für ihr Essen, dass es ihr fast peinlich war, schließlich hatte sie ja alles nur auf die Schnelle improvisiert.
Dann, als alle mit dem Essen fertig waren, wurde es auf einmal still im Pub. Hanne, die mit Braden hinter dem Tresen stand und Gläser spülte, sah überrascht auf. Alle Blicke waren erwartungsvoll auf Braden gerichtet. Die Gäste begannen, mit ihren Bierkrügen auf die Tische zu hämmern und Braden, Braden, Braden zu rufen, bis dieser schließlich resigniert die mit den Schultern zuckte und im Büro verschwand, um kurz darauf wieder mit einer Gitarre in der Hand zu erscheinen. Sofort setzte heftiger Applaus ein und die Leute schrien noch lauter seinen Namen.
Braden war ein Musiker?
Als er den ersten Akkord auf der Gitarre anschlug, wurde es ganz still im Pub.
Das Wetter war wieder umgeschlagen, Regen prasselte gegen die Scheiben und der Wind heulte. Und noch bevor Braden anfing zu singen, verspürte Hanne wieder diese schmerzlich süße Sehnsucht. Es war, als wäre das Pub auf einmal von einer alten und wundersamen Magie erfüllt.
Dann begann Braden zu singen, mit seiner tiefen, warmen und vollen Stimme. Ein altes irisches Lied, bei dem es um Liebe und um Schmerz ging, um Freude und Verlust, wie in allen irischen Liedern. Hanne liebte diese Lieder. Sie starrte Braden an wie im Trance und auf einmal bemerkte sie zu ihrem großen Entsetzen, dass sie in das Lied einstimmte. Sie wollte es nicht, aber die Musik berührte etwas tief in ihrem Herzen, das hinaus wollte und sich nicht unterdrücken ließ. Klar und hell fiel ihre Stimme in das Lied ein und erhob sich glockenrein hoch hinauf, ganz hoch hinauf. Sie hatte nicht gewusst, dass sie so singen konnte. Es war, als würden seine tiefe und ihre helle klare Stimme miteinander tanzen, sich umarmen und sich umkreisen. Als der letzte Akkord verklang, herrschte atemlose Stille, gefolgt von tosendem Applaus. Die Leute stampften mit den Füßen, johlten, klatschten, schrien und riefen immer wieder Bradens Namen und ihren Namen. Aber Hanne hatte nur Augen für Braden, der die Gitarre weggelegt hatte und auf sie zukam. Er zog sie in seine Arme und gab ihr einen Kuss, der noch mehr Küsse und noch viele andere Dinge mehr versprach. Kurzerhand packte er sie, stellt sie auf einen Tisch und rief dann:
"Das ist sie, meine Siobhán!"
Die Leute johlten und klatschen wieder und bevor Hanne wusste, wie ihr geschah, stimmte Braden bereits das nächste Lied an. Sie nickte ihm kurz zu, um ihm zu zeigen, dass sie das Lied kannte, und freudige Erwartung und Glück erfüllten sie, als Braden zu singen begann. Mit einem Lächeln stimmte Hanne in das Lied ein.
Es wurde getanzt und getrunken und es folgten noch viele Lieder, bis Hanne schließlich keinen Ton mehr herausbrachte.
Es war schon nach Mitternacht, als die letzten Gäste schließlich das Pub verließen. Hanne sah ihnen verloren hinterher. Das war ein so unglaublicher, ein so wundervoller Abend gewesen! Wie sollte sie jemals wieder ohne Irland leben, ohne irische Lieder, ohne Musik? Und ohne Braden? Tränen traten ihr in die Augen, aber bevor sie weiter ihren traurigen Gedanken nachhängen konnte, nahm Braden sie auf den Arm und trug sie die Treppe hinauf in den Loft. An der Treppe zur Galerie blieb er kurz stehen und sah sie fragend an. Hanne nickte nur, sie hatte Angst, dass alles, was ihr Herz zusammenpresste, aus ihr heraussprudeln würde, wenn sie den Mund aufmachte. Das Gefühl, dass sie nicht mehr ohne ihn sein konnte und wollte, die Angst vor dem Unbekannten, weil sie noch nie einem Mann nahe gekommen war, die Angst vor dem Morgen danach, davor, die große und tiefe Liebe zu diesem riesigen Mann zuzulassen, den sie ja eigentlich gar nicht kannte. Aber jetzt war nicht die richtige Zeit für Zweifel, jetzt war die richtige Zeit, um mutig zu sein. Also schlang sie ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn.
Die Nacht war genauso wundervoll wie der Abend, Braden liebte sie, wie er seine Lieder sang, wild, voller Leidenschaft, Sehnsucht und Zärtlichkeit, bis sie erschöpft in seinen Armen einschlief.
Als Hanne am nächsten Morgen erwachte, wusste sie nicht, was sie sagen oder wie sie sich verhalten sollte, aber sie hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen, denn Braden zog sie in seine Arme und hielt sie eng umschlungen, sodass sie sein Herz in seiner breiten Brust schlagen hörte.
Er streichelte ihr sanft über die Wange. Dann hob er ihr Kinn an und blickte ihr in die Augen.
"Bleib bei mir, Siobhán", flüsterte er und sie erkannte in seinen Augen die Angst vor ihrer Zurückweisung. Als ob sie jemals wieder wo anders als bei ihm sein wollte!
"Für immer", antwortete sie deshalb mit fester Stimme und schmiegte sich wieder an ihn.

Und so kam es, dass Hanne doch noch in Irland ihr Zuhause fand.

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